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Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält

Titel: Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sennett Richard
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vermitteln, man müsse den Job nicht unter allen Umständen haben, bedarf es der Fähigkeit, mit einem schlechten Blatt zu spielen. Diese Leichtigkeit des Tons ist sprezzatura , auf das Bewerbungsgespräch angewendet. In der Werkstatt entspricht dem die Leichtigkeit des Einsatzes physischer Kraft und die Konzentration auf das Objekt statt auf sich selbst.
    Die in der modernen Gesellschaft so tief verwurzelte Arbeitsethik macht es schwer, solch eine Maske aufzusetzen. In der von Weber beschriebenen protestantischen Ethik ist die Arbeit ein Symbol des eigenen Werts. Da fällt es schwer, sich in solchen Tests zu entspannen. Bewerber, die schon lange arbeitslos sind, wissen nur zu gut, dass Bewerbungsgespräche große Tests sind, die sie schon mehrfach nicht bestanden haben. Für entmutigte Arbeitssuchende werden solche Gespräche deshalb zu psychologisch immer stärker aufgeladenen Ereignissen.
    Der Berater kann nur hoffen, dass er gegen die Triebkraft der Arbeitsethik ankommt, indem er die banale Erfahrung des Klienten mit der Arbeit in den Vordergrund stellt. Dieser muss einen Schritt zurücktreten und eine neue Sicht der Arbeit entwickeln – eine Erfahrung, die so gewöhnlich ist, dass die meisten gar nicht darüber nachdenken. Dieses Zurücktreten entspricht der mittleren Phase in der Entwicklung von Fertigkeiten. In sozialen Beziehungen ist dieses Zurücktreten allerdings nicht banal. Es eröffnet die Möglichkeit, die Dinge anders zu sehen, auch wenn dies nicht oder noch nicht der Wahrheit entspricht. Indem wir einen Schritt zurücktreten, können wir uns vorstellen, selbstbewusster und sicherer zu sein, obwohl sich zu Hause in Wirklichkeit die Rechnungen stapeln.
    In den Jobcentern hofft man, die Berater könnten den Arbeitssuchenden Hinweise liefern, wie sie potenziellen Arbeitgebern entspannter gegenübertreten können. Tatsächlich gibt es Berater, die den Bewerbern detaillierte Verhaltensregeln mit auf den Weg geben. Etwa: »Schauen Sie mir in die Augen, wenn Sie mir die Hand geben!« Oder: »Wenn ich Ihnen eine Frage stelle, beantworten Sie sie zuerst präzise, bevor sie Ihre Antwort erläutern.« Doch zu viele solcher Anweisungen können sich als kontraproduktiv erweisen, weil sie nur die Nervosität des Bewerbers verstärken, wenn er sich an diese Regeln der Etikette zu erinnern versucht. Das Ritual des Bewerbungsgesprächs hat wie alle Rituale zum Ziel, Verhaltensweisen in die Praxis umzusetzen, die man verinnerlicht hat und die ebendeshalb unter die Schwelle des Bewusstseins abgesunken sind.
    Das wurde mir klar, als ich in den 1980er Jahren erstmals Arbeitsvermittlungen untersuchte. Damals litt deren Tätigkeit unter einem Übermaß an psychotherapeutischen Ansätzen. In einer erstklassigen Arbeitsvermittlung zeigte mir ein Berater ein dickes, für Arbeitssuchende bestimmtes Buch, das die emotionalen Momente erläuterte, die in Bewerbungsgesprächen gerade in bzw. out waren, und das den Schwerpunkt auf die Introspektion legte. Wer dieses Buch ernst nahm, gewann unvermeidlich den Eindruck, dass er keinen Job, sondern eine Psychoanalyse brauchte. 2 Die heutigen Ratgeber sind da weniger überfrachtet. Man gibt Anregungen, aber nicht zu viele. Die Berater hoffen, der Klient werde aus den ungezwungenen Begegnungen Erfahrungen mitnehmen, wie er sich auch andernorts verhalten kann.
    Ähnliches gilt auch für das Entscheiden. Eine Szene, die ich in einer privaten Arbeitsvermittlung mehrfach beobachtete, verdeutlicht dieses zwanglose Herangehen. Auf einem Konferenztisch in einem kleinen Tagungsraum stapeln sich Broschüren über die Gründung und Finanzierung einer eigenen Firma. Viele Klienten der privaten Arbeitsvermittlung denken daran, sich selbständig zu machen, als freie Berater oder in einem kleinen Unternehmen innerhalb des dichten Geflechts der New Yorker Wissensökonomie. Einige wenige Romantiker träumen von etwas völlig Anderem und möchten einen Biobauernhof gründen. Doch in guten Zeiten liegt die Chance, dass eine Neugründung in Amerika die ersten zwei Jahre übersteht, bei eins zu acht, während die Gründung eines kleinen Biobauernhofs statistisch gesehen fast schon eine Garantie für den Ruin darstellt.
    Der Berater hat das Informationsmaterial über diese Aussichten auf dem Tisch ausgebreitet, überlässt die Interpretation aber dem Klienten, der die Stapel durchschaut und die Stirn runzelt wie ein Käufer, dem ein zweifelhafter Gebrauchtwagen angeboten wird. Wenn er eine Frage stellt, gibt

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