Zusammenarbeit - was unsere Gesellschaft zusammenhält
Parteien. Doch Alltagsdiplomatie vermag noch mehr zu leisten. Um das zu verstehen, müssen wir uns anschauen, wie es möglich ist, dass das Ausdrücken von Konflikten auch Bindungen zwischen Menschen schaffen kann, die eine bessere Kooperation erlauben.
Ein Beispiel dafür ist der Umgang der früheren britischen Premierministerin Margaret Thatcher mit Mitgliedern ihres Kabinetts. Simon Jenkins beschreibt, wie sie die Kabinettssitzungen leitete: »Sie stritt und schrie. Sie forderte [Minister und andere Kabinettsmitglieder] auf, ihr Paroli zu bieten, und bombardierte sie dann mit einer Mischung aus Trivialwissen und Amtsautorität.« Einer ihrer Assistenten berechnete, »dass sie auf Kabinettssitzungen 90 Prozent der Zeit selbst redete. Sie formulierte gleich zu Anfang ihren Standpunkt und forderte alle Anwesenden auf, ihr zu widersprechen.« 5 Wer ihr die Stirn bot, hatte später allerdings oft das Gefühl, dass die Sitzung produktiv gewesen sei. Auf ein weniger prominentes Beispiel habe ich oben schon hingewiesen: Meister in Bostoner Bäckereien kamen mit ihren Leuten gut aus, obwohl sie sie häufig beschimpften und schlecht behandelten.
Das ist die stürmische Variante des Austauschs – im Sinne eines Sturms, der die Luft reinigt. Der Soziologe Lewis Coser sah in dieser Art von Ausdruck ein Grundmodell für produktive Konflikte. Die Menschen erfahren so, wo für den anderen die Grenzen liegen und in welchen Punkten er keine Kompromisse eingehen wird. Ist dann der Sturm vorüber, haben alle sich ihre Ehre bewahrt und die Bande zwischen ihnen sind stärker als zuvor. 6 Nach dieser Sicht unterscheiden sich Margaret Thatchers Kabinettssitzungen nicht sonderlich von einem Streit in der Familie. Die Kooperation wird nicht nur deshalb gestärkt, weil man Dampf ablässt. Durch das Austesten der Stärke werden auch Grenzen sichtbar, die man in Zukunft nicht überschreiten wird.
Der Sturm kann aber auch ein sehr gefährliches Wetter bringen, eine so erbitterte Konfrontation, dass die Beteiligten nichts mehr miteinander zu tun haben wollen. Der professionelle Mediator muss deshalb mehr tun, als nur für eine Abkühlung der Gemüter zu sorgen. So müssen Schlichter in Arbeitskämpfen wie Diplomaten wissen, wann sie die Konfliktparteien zusammenführen und wann sie getrennt mit ihnen verhandeln sollen. Der geschickte Schlichter, der während der Schlichtungsverhandlungen ständig zwischen den Räumen wechselt, in denen die Streithähne getrennt untergebracht sind, wird mit viel Gespür den Augenblick bestimmen, da er sie zusammenbringen kann. Ein Schlichter sagte mir, dieser Augenblick sei gekommen, wenn er den Eindruck hat, die Konfliktparteien seien ihrer eigenen Argumente überdrüssig. 7
Wenn dann die Streithähne in einem Raum zusammengekommen sind, mag es immer noch notwendig sein, die Gemüter zu kühlen, aber auch hier wäre das nicht genug. Eine aktivere Technik, die der Duc de Joinville im 19. Jahrhundert für Diplomaten entwickelte, wurde und wird mit großem Erfolg auch von amerikanischen Schlichtern wie Theodore Kheel eingesetzt. 8 Die Technik stützt sich auf die Formel: »Mit anderen Worten, Sie sagen also …« Der Schlichter wiederholt die Aussage dabei nicht einfach, sondern lässt auch Anliegen und Interessen der Gegenseite in seine Paraphrasierung einfließen und erschließt dadurch eine gemeinsame Grundlage für die Verhandlung. Joinville bezeichnete dieses Verfahren mit einem recht treffenden Wortspiel als »Re-Parieren«. Die Reparatur eines Konflikts sorgt wie die Reparatur in einer Werkstatt für eine Re-Formatierung des Problems, das dadurch veränderbar wird.
Wir haben oben bereits die für die Kooperation bedeutsame Fähigkeit des Zuhörens angesprochen – eines Zuhörens, das zu verstehen versucht, was der andere sagt, und einfühlsam darauf eingeht. Gewöhnlich benutzt man die Redewendung »mit anderen Worten«, um zu klären, was man gesagt hat. Für Joinville wie für Kheel geht es darum, die Botschaft ein wenig zu verzerren. Der Schlichter, der Joinvilles Technik einsetzt, verhört sich gleichsam ganz bewusst, um neue Elemente einzubringen, die als Brücke dienen können. Joinville muss ein kluger Leser und ein geschickter Zuhörer gewesen sein, denn er behauptete, diese Technik lasse sich bis zu Platon zurückverfolgen. In Platons Dialogen wiederhole Sokrates ständig die von seinen Gesprächspartnern vorgetragenen Argumente, aber so, dass sie nun etwas anderes bedeuteten, als diese
Weitere Kostenlose Bücher