Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
bin in Verzweiflung, Euer Gnaden zu sagen, daß Sie im Irrtum sind,« erwiderte der Gascogner kühn, indem er an das Versprechen dachte, das er eben der Königin Anna gemacht hatte.
»Ich habe doch selbst das Vorgemach geöffnet und sah Euch von dem Ende der Galerie herankommen.«
»Das geschah, weil man mich durch die verborgene Treppe einführte.«
»Wie das?«
»Ich weiß es nicht; vielleicht hat da ein Mißverständnis stattgefunden.« Mazarin wußte, daß man d'Artagnan nicht leicht zum Geständnis dessen bringen konnte, was er verhehlen wollte; er verzichtete somit für jetzt darauf, das Geheimnis zu entdecken, das ihm der Gascogner vorenthielt. »So wollen wir denn von meinen Angelegenheiten reden,« sagte der Kardinal, »weil Ihr mir von den Eurigen nichts sagen wollt.« D'Artagnan verneigte sich. »Macht Ihr gerne Reisen?« fragte der Kardinal.
»Ich habe mein Leben auf den Heerstraßen zugebracht.«
»Hält Euch etwas in Paris zurück?«
»Mich hält nichts zurück als ein höherer Befehl.«
»Gut; hier ist ein Brief, der an seine Adresse zu gelangen hat.«
»An seine Adresse, gnädigster Herr? Es ist aber keine ersichtlich.« Die Rückseite vom Siegel war in der Tat ohne Aufschrift.
»Ich verstehe; ich habe den ersten dann wegzunehmen, wenn ich an einem bestimmten Orte angekommen bin.«
»Allerdings; nehmt also und reiset ab. Ihr habt einen Freund, du Ballon, den ich sehr liebe, nehmt ihn mit.«
»Teufel,« dachte D'Artagnan, »er weiß, daß wir gestern seine Unterredung belauschten und will uns von Paris fern haben.«
»Ihr säumt?« fragte Mazarin.
»Nein, gnädigster Herr, ich reise sogleich ab; nur wünschte ich noch ...«
»Was? sagt an.«
»Daß Ew. Eminenz zu der Königin ginge.«
»Wann?«
»Im Augenblicke.«
»Weshalb?«
»Um nur diese Worte zu sagen: »Ich schicke Herrn d'Artagnan irgend wohin und lasse ihn ungesäumt abreisen.«
»Da seht Ihr nun,« erwiderte Mazarin, »daß Ihr die Königin sahet.«
»Ich hatte bereits die Ehre, Ew. Eminenz zu sagen, es könnte da ein Mißverständnis statt- gefunden haben.«
»Was bedeutet das?« fragte Mazarin.
»Darf ich mir erlauben, Ew. Eminenz meine Bitte zu wiederholen?«
»Gut, ich will hingehen. Wartet hier auf mich.« Mazarin blickte sorgsam herum, ob er an den Schränken keinen Schlüssel vergesse, und ging dann fort. D'Artagnan gab sich zehn Minuten hindurch alle mögliche Mühe, um durch den ersten Briefumschlag das zu lesen, was aus dem zweiten geschrieben war, es gelang ihm aber nicht. Mazarin kam blaß und tiefsinnig zurück, und setzte sich an seinen Schreibtisch. D'Artagnan erforschte ihn, wie er es eben mit dem Briefe getan hatte; allein die Hülle seines Gesichtes war fast ebenso undurchdringlich wie der Briefumschlag. »Ho, ho,« murmelte der Gascogner, »er macht eine grämliche Miene. Ist es etwa meinet- wegen? Er sinnt nach. Ist es etwa, um mich nach der Bastille zu schicken? Sachte, gnädiger Herr. Bei dem ersten Worte, das Ihr davon redet, erwürge ich Euch und werde Frondeur. Man wird mich im Triumphe tragen, wie Herrn Broussel, und Athos wird mich für Frankreichs Brutus erklären. Das wäre hübsch.« So hatte der Gascogner mit seiner stets galoppierenden Phantasie schon alle die Vorteile gesehen, die er aus seiner Lage ziehen könnte. Allein Mazarin gab keinen solchen Befehl; im Gegenteil fing er an, d'Artagnan zu schmeicheln und sprach zu ihm: »Ihr hattet wohl recht, lieber d'Artagnan, Ihr könnt noch nicht abreisen.«
»Ha!« rief d'Artagnan.
»Gebt mir also gefälligst diese Depesche zurück.« D'Artagnan gehorchte, Mazarin überzeugte sich, daß das Siegel noch unverletzt sei, dann sagte er: »Ich brauche Euch diesen Abend; kommt in zwei Stunden wieder. »Gnädigster Herr,« entgegnete d'Artagnan, »in zwei Stunden habe ich ein Rendezvous, wobei ich nicht fehlen darf.« »Seid deshalb unbekümmert,« sagte Mazarin, »es ist das nämliche.« »Wohl,« dachte d'Artagnan, »ich ahnte das.« »Kommt somit um fünf Uhr wieder, und bringt den lieben Herrn du Vallon mit, laßt ihn aber im Vorgemach, da ich mit Euch allein sprechen will.« D'Artagnan verneigte sich. Währenddessen dachte er bei sich selber: »Alle beide den nämlichen Befehl – zu derselben Stunde – im Palais-Royal – o, ich errate. O, dieses Geheimnis hätte Herr von Gondy mit hunderttausend Livres bezahlt.« »Ihr besinnt Euch?« fragte Mazarin bekümmert. »Ja, ich fragte mich, ob wir bewaffnet sein sollen oder nicht?« »Vollkommen
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