Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
beschuldigen mich, daß ich mich fürchte; ich habe nicht so viel Furcht wie Sie, weil ich nicht entfliehe. Gegen wen schreit man denn, gegen Sie oder gegen mich? Wem will man ans Leben, mir oder Ihnen? Nun, ich, den Sie beschuldigen, furchtsam zu sein, ich biete doch dem Ungewitter Trotz, nicht mit Prahlereien, das ist meine Sache nicht, sondern ich halte stand. Machen Sie gleich mir nicht so viel Aufsehen, sondern mehr Wirkung. Sie schreien sehr laut, und erreichen doch nichts Sie reden vom Entfliehen ... .« Mazarin zuckte die Achseln, faßte die Königin an der Hand, führte sie an das Fenster und sagte: »Da sehen Sie!« »Nun?« entgegnete die Königin, durch ihren Starrsinn verblendet. »Nun, was erblicken Sie von diesem Fenster aus? Wenn ich nicht irre, sind es geharnischte Bürger mit Pickelhauben und wie zur Zeit der Ligue mit guten Musketen bewaffnet, die so scharf nach dem Fenster starren, von dem aus wir sie sehen, daß man Sie erblicken wird, wenn Sie den Vorhang zu weit öffnen. Nun gehen wir dorthin an das andere; was sehen Sie da? Mit Hellebarden bewaffnete Leute aus dem Volke, welche Ihre Türen bewachen. Aus jeder Öffnung des Palastes, wohin ich Sie immer führte, würden Sie dasselbe, erblicken; Ihre Türen sind besetzt, die Luftlöcher Ihrer Keller sind bewacht, und ich möchte dasselbe sagen, was mir jener einfältige La Ramée von Herrn von Beaufort gesagt hat: »Es wäre denn, daß Sie ein Vogel oder eine Maus sind, sonst entkommen Sie nicht.« »Er ist aber doch entschlüpft.« »Denken Sie auf dieselbe Weise davonzukommen?« »So bin ich eine Gefangene?« »Bei Gott,« erwiderte Mazarin, »ich beweise Ihnen das schon eine Stunde lang.« Mazarin nahm wieder ruhig seine Depesche vor, die er angefangen, und schrieb da weiter, wo er unterbrochen worden war. Die Königin Anna erbebte vor Zorn, erglühte ob der erlittenen Demütigung, ging rasch fort und schlug die Türe heftig hinter sich zu. Mazarin wandte nicht einmal den Kopf um.
Als die Königin in ihre Gemächer zurückkam, sank sie in einen Lehnstuhl und fing zu weinen an. Dann sprang sie, von einem plötzlichen Gedanken durchzuckt, auf und sagte: »Ich bin gerettet! Ja, ich kenne einen Mann, der mich aus Paris wegzuführen wissen wird, einen Mann, den ich zu lange schon vergessen habe.« Sie ging rasch zu einem Tische, auf dem Tinte und Papier waren, und schickte sich an, zu schreiben.
Die Zusammenkunft
An demselben Morgen befand sich d'Artagnan in Porthos' Zimmer und lag zu Bette. Diese Gewohnheit hatten die zwei Freunde seit den Unruhen angenommen. Ihre Schwerter lagen unter den Kopfkissen, die Pistolen lagen im Bereiche ihrer Hand auf dem Tische. Um sieben Uhr weckte sie ein Bedienter ohne Livree und überbrachte d'Artagnan einen Brief.
»Von wem?« fragte der Gascogner.
»Von der Königin,« entgegnete der Bediente.
»Ei,« versetzte Porthos und richtete sich im Bette auf, »was steht denn darin?«
»Freund Porthos,« rief d'Artagnan, ihm den Brief reichend, »hier ist für diesmal dein Barontitel und meine Bestallung als Kapitän. Lies nur und urteile.« Porthos streckte die Hand aus, nahm den Brief und las mit zitternder Stimme die folgenden Worte: »Die Königin will mit Herrn d'Artagnan sprechen; er möge dem Überbringer folgen.«
»Nun,« sprach Porthos, »darin sehe ich nur etwas Gewöhnliches.«
»Ich aber sehe darin recht viel Ungewöhnliches,« erwiderte d'Artagnan.
»Wenn man mich beruft, so beweist das, daß die Sachen sehr verwickelt sind. Denkt nur ein bißchen nach, welche Umwälzung muhte nicht im Geiste der Königin stattfinden, daß nach zwanzig Jahren mein Andenken wieder auf die Oberfläche kam.«
»Das ist wahr,« entgegnete Porthos.
»Schärfe dein Schwert, Baron, lade deine Pistolen, gib den Pferden Hafer, ich bürge dir, daß es vor morgen noch etwas Neues gibt und motus !«
»He doch, ist das nicht eine Schlinge, die man uns legt?« fragte Porthos, stets beschäftigt mit der Störung, welche seine künftige Größe anderen verursachen würde.
»Wenn es eine Schlinge ist,« erwiderte d'Artagnan, »so werde ich sie schon auswittern, sei unbesorgt. Ist Mazarin Italiener, so bin ich Gascogner.« D'Artagnan kleidete sich schnell an. Als ihm Porthos, noch immer liegend, den Mantel zuschnallte, wurde abermals an die Türe gepocht. »Herein!« rief d`Artagnan. Es trat ein Diener ein und sagte: »Ich komme von Seiner Eminenz dem Herrn Kardinal von Mazarin.« D'Artagnan blickte Porthos an.
»Ha, wie sich
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