Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
das furchtbare Auge d'Artagnans sah, zur Wehr setzen wollte. Bei dieser Bewegung griff Aramis nach seinem Schwerte. »Nein, kein Schwert!« rief d'Artagnan, »das Schwert ist nur für Edelleute.« – Darauf faßte er den Fleischer an der Kehle und fuhr fort: »Porthos, schlagt mir diesen Niederträchtigen mit einem Fauststreiche tot!« Porthos schwang seinen furchtbaren Arm, ließ ihn wie die Schnur einer Schleuder durch die Luft pfeifen, worauf die gewaltige Keule mit einem dumpfen Krachen auf den Schädel des Elenden niederfiel und ihn zermalmte. Der Mann stürzte nieder wie ein Stier unter dem Beile. Seine Kameraden wollten schreien, sie wollten entfliehen, allein die Stimme versagte ihrem Munde und die bebenden Knie brachen unter ihnen ein. »Athos,« fuhr d'Artagnan fort, »sagt ihnen noch das: So werden alle jene sterben, die vergessen, daß ein gefesselter Mensch ein geheiligtes Haupt ist, und daß ein gefangener König zweifach den Herrn vorstellt.«
White-Hall
Das Parlament verurteilte Karl Stuart zum Tode, wie es sich leicht voraussehen ließ. Ein Gerichtsverfahren dieser Art ist beinahe immer eine eitle Formalität, denn dieselben Leidenschaften, welche die Beschuldigung machen, veranlassen auch die Aburteilung. Das ist die furchtbare Logik der Revolutionen. Der zum Tode verurteilte Monarch betrachtete einsam in seinem von zwei Kerzen beleuchteten Zimmer traurig den Luxus seiner vergangenen Größe, wie man in der letzten Stunde das Bild des Lebens viel schöner und lieblicher erblickt, als jemals. Parry war von seinem Herrn nicht gewichen und hatte seit seiner Verurteilung nicht zu weinen aufgehört. Karl Stuart besah, mit dem Ellbogen auf einen Tisch gestützt, ein Medaillon, auf dem nebeneinander die Bildnisse seiner Gemahlin und Tochter sich befanden. Fürs erste erwartete er den Bischof Juxon, dem Cromwell erlaubt hatte, den König aufzusuchen, und nach Juxon das Martyrium. »Ach,« sprach er bei sich, »wenn ich wenigstens einen Freund von Geist und Salbung hätte, der alle Geheimnisse des Daseins, alle Nichtigkeit irdischer Größe erforscht hat, vielleicht würde seine Stimme die Stimme ersticken, die in meiner Seele jammert; der da zu mir kommen wird, wird mir wohl von Gott und von dem Tode das voraussagen, was er zu andern Sterbenden spricht, ohne zu begreifen, daß dieser königliche Sterbende dem Usurpator einen Thron hinterläßt, indes seine Kinder kein Brot mehr haben.« Hierauf drückte er das Porträt an seine Lippen, und stammelte der Reihe nach die Namen seiner Kinder. Wie schon erwähnt, war die Nacht nebelig und finster. Von der benachbarten Kirche schlug langsam die Uhr. Der blasse Schein der zwei Kerzen beleuchtete in diesem großen, hohen Zimmer Phantome mit seltsamen Spiegelungen. Diese Phantome waren die Ahnen des Königs Karl, und schienen aus ihren Rahmen hervorzutreten; diese Spiegelungen waren die letzten bläulichen und schillernden Reflexe eines ersterbenden Kohlenfeuers. Auf einmal vernahm man Tritte, die Tür ging auf, das Zimmer erfüllte sich mit dampfendem Fackellicht, und ein Mann, wie ein anglikanischer Priester gekleidet, trat ein, gefolgt von zwei Wachen, denen Karl gebieterisch mit der Hand zuwinkte. Diese zwei Wachen entfernten sich und das Zimmer wurde wieder so dunkel wie zuvor.
»Juxon!« rief Karl. »Juxon! Dank, mein letzter Freund! Ihr kommt zu rechter Zeit.« Der vermeintliche Bischof warf einen schiefen und bekümmerten Blick auf den Mann, der im Winkel des Kamins seufzte und weinte. »Ruhig, Party,« rief der König, »weine nicht mehr, Gott sendet uns Trost.«
»Wenn es Parry ist,« sprach der Eintretende, »so habe ich nichts mehr zu fürchten; Sire, ich bitte also um Erlaubnis, Ew. Majestät begrüßen zu dürfen, und zu sagen, wer ich bin und aus welcher Ursache ich komme.« Karl hätte bei diesem Anblick, bei dieser Stimme zweifelsohne einen Ausruf erhoben, allein Aramis legte einen Finger auf die Lippe, und verneigte sich tief vor dem König von England. »Der Chevalier!« murmelte Karl. »Ja, Sire,« entgegnete Aramis mit erhobener Stimme, »ja, der Bischof Juxon. ein getreuer Diener des Herrn und ergeben den Wünschen Eurer Majestät.« Karl faltete die Hände, er erkannte d'Herblay, er war erstaunt und fühlte sich vernichtet vor diesen Männern, vor diesen Fremdlingen, welche ohne einen andern Beweggrund als den einer Pflicht, die ihnen die eigene Überzeugung auferlegte, gegen den Willen eines Volkes und gegen die Bestimmung eines Königs
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