Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
mit einer Miene, welche ausdrücken wollte: Wenn es dem gnädigen Herrn gefällig ist. Der Prinz blickte auf Grimaud, Grimaud blickte auf die Pendeluhr; es war kaum ein Viertel auf sieben Uhr, die Flucht war für sieben Uhr festgesetzt, wonach man noch drei Viertelstunden warten mußte. Der Prinz nahm, um eine Viertelstunde zu gewinnen, eine Lektüre zum Vorwand und wünschte sein Kapitel zu beendigen. La Ramée näherte sich, blickte über seine Schulter weg, was es für ein Buch sei, das so anziehend wäre, den Prinzen vom Tisch abzuhalten, wo das Essen schon aufgetragen stand.
Es waren die Kommentare Cäsars, die er ihm selbst gegen die Vorschrift des Herrn von Chavigny drei Tage vorher gebracht hatte.
La Ramée nahm sich aber fest vor, er wolle nichts mehr tun, was gegen die Vorschriften des Schloßturmes wäre. Mittlerweile entpfropfte er die Bouteillen und erquickte sich an dem Dufte der Pastete. Dreiviertel vor sieben Uhr stand der Herzog auf und setzte sich zu Tische, während er la Ramee zuwinkte, ihm gegenüber Platz zu nehmen. Der Offizier ließ sich das nicht zweimal wiederholen.
Es gibt kein ausdrucksvolleres Gesicht, als das eines Gourmands, der vor einer wohlbesetzten Tafel ist; als nun la Ramée aus Grimauds Hand seinen Teller Suppe empfing, malte sich auch in seinem Antlitz das Gefühl einer vollkommenen Glückseligkeit ab.
Der Herzog sah ihn mit Lächeln an, dann rief er: »Potz Element! la Ramee, wißt Ihr, wenn man mir sagte, es gäbe in diesem Augenblick einen glücklicheren Menschen als Euch, so würde ich es gar nicht glauben.«
»Und Sie hätten meiner Seele recht, gnädigster Herr,« entgegnete la Ramée. »Was mich anbelangt, so muß ich bekennen, daß ich, wenn ich hungrig bin, keine angenehmere Aussicht weiß, als einen wohlbesetzten Tisch, und wenn Sie hinzufügen,« fuhr er fort, »daß derjenige, welcher den Wirt dieser Tafel macht, der Enkel Heinrichs des Großen ist, so werden Sie begreifen, gnädigster Herr, daß diese Ehre das genossene Vergnügen noch verdoppelt.« Der Prinz verneigte sich, und auf Grimauds Antlitz, der hinter la Ramée stand, zeigte sich ein leises Lächeln. »In der Tat, lieber la Ramée,« sprach der Herzog, »nur Ihr wißt ein Kompliment zu machen.« »Nein, gnädigster Herr, ich spreche, was ich denke, und in dem, was ich sage, glaube ich, liegt wirklich kein Kompliment.« »So seid Ihr mir zugetan?« fragte der Prinz. »Das heißt,« entgegnete la Ramée. »ich wäre trostlos, wenn Ew. Hoheit von Vincennes weggingen.« »Ihr bezeigt mir auf seltsame Weise Eure Affliktion« (Bestürzung). – Der Prinz wollte sagen: Affektion (Neigung). »Was würden Sie auch außen tun, gnädigster Herr?« fragte la Ramée, »irgendeinen Streich, der Sie mit dem Hofe verfeinden und anstatt zurück nach Vincennes, in die Bastille bringen würde. Ich gestehe wohl ein, Herr von Chavigny ist nicht liebenswürdig –« fuhr er fort und schlürfte ein Glas Madeira, »doch Herr von Tremblay ist noch schlimmer.« »Wirklich?« versetzte der Herzog, den die Wendung ergötzte, welche das Gespräch nahm, und der von Zeit zu Zeit nach der Uhr sah, auf der die Zeiger verzweifelt langsam vorrückten. »O, gnädigster Herr, glauben Sie mir, es ist ein großes Glück, daß Sie die Königin hierher gegeben hat, wo es einen Spaziergang, ein Ballspiel, guten Tisch und gesunde Luft gibt.« »Wahrhaftig,« sprach der Herzog, »war ich nach Eurer Meinung höchst undankbar, la Ramée, weil ich einen Augenblick lang den Gedanken nährte, von hier wegzugehen?« »O, gnädigster Herr, das ist der größte Undank – indes hat Ew. Hoheit niemals ernstlich daran gedacht.« »Ei doch,« entgegnete der Herzog, »ich leugne es nicht, es ist vielleicht töricht, allein ich gestehe, daß ich jetzt noch bisweilen daran denke.«
In diesem Augenblick schlug es sieben. Grimaud sprang auf la Ramée zu, drückte dem, keines Lautes fähig, den Knebel in den Mund, den er wie alle andern Utensilien mit einem raschen Griff aus der Pastete geholt hatte, fesselte ihn sodann mit den Streifen einer zerrissenen Serviette und machte sich sofort daran, dem Gefesselten alle Schlüssel aus den Taschen zu nehmen.
Nachdem der Herzog dem verzweifelt vor sich hinstarrenden la Ramée sein aufrichtigstes Bedauern ausgedrückt, daß er gezwungen sei, seinen freundschaftlichen Gefühlen für ihn scheinbar so sehr entgegenzuhandeln, begaben sich die beiden mit Hilfe der Schlüssel schleunigst aus dem Haus, erreichten unbemerkt
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