Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
bis in den ersten Stock tragen; jedoch unten an der Treppe stellte sich der Verwundete wieder auf die Beine und erklärte, er fühle sich kräftig genug, um allein hinaufzusteigen. Überdies bat er Gervaise, so hieß die Magd, sie möchte das Volk dahin bringen, daß es sich entferne; allein Gervaise hörte nicht auf ihn, sondern rief aus: »O mein armer Herr! mein liebwertester Herr!«
»Ja, meine Gute, ja, Gervaise,« murmelte Broussel, um sie zu beschwichtigen. »Beruhige dich, es wird nicht von Bedeutung sein.«
»Ich soll ruhig sein, wenn Sie zerquetscht, zermalmt und wie gerädert sind?«
»Doch nein, nein!« rief Broussel; »es ist nichts, fast nichts.«
»Nichts? und Sie sind mit Kot bedeckt! nichts? und an Ihren Haaren klebt Blut! Ach, mein Gott! mein Gott! armer Herr!«
»Sei doch stille,« sprach Broussel, »stille,«
»Blut, mein Gott, Blut!« ächzte Gervaise. »Einen Arzt, einen Chirurgen, einen Doktor!« kreischte die Menge, »der Ratsherr Broussel stirbt!«
»Mein Gott!« seufzte Broussel verzweiflungsvoll, »die Unglücklichen werden das Haus in Brand stecken!«
»Stellen Sie sich ans Fenster, lieber Herr, um sich zu zeigen,«
»Pest! das werde ich bleiben lassen,« versetzte Broussel. »Sich zu zeigen ist gut für den König. Sage ihnen, Gervaise, daß mir schon besser sei; sage ihnen, ich wolle mich nicht ans Fenster stellen, sondern zu Bette legen, und sie möchten sich entfernen.«
»Warum sollen, sie sich aber entfernen, es gereicht Ihnen ja zur Ehre, daß sie da sind.«
»Ach, siehst du denn nicht ein,« rief Broussel verzweiflungsvoll, »daß sie es dahinbringen werden, mich einziehen und henken zu lassen? Geschwind! meine Gemahlin dort fällt in eine Ohnmacht.«
»Broussel! Broussel!« heulte die Menge, »es lebe Broussel! einen Arzt für Broussel! –«
Sie erregten so viel Lärm, daß das geschah, was Broussel vorausgesehen: eine Schar Garden trieb mit ihren Büchsenkolben die sonst ziemlich widerstandslose Volksmenge auseinander; jedoch bei dem ersten Ruf: »Die Wache! die Soldaten!« kroch Broussel ganz angekleidet in sein Bett und zitterte, man möchte ihn für den Urheber dieses Tumultes halten.
Inzwischen kam ein schnell herbeigeholter Arzt, der den, im Grunde genommen, mit seinem unerwarteten Märtyrertum sehr zufriedenen Patienten untersuchte und erstaunt war, nichts Schlimmeres als ein paar leichte Quetschungen und Hautschürfungen feststellen zu können. Nachdem er Einreibungen und Umschläge verordnet hatte, trat er auf den Balkon hinaus und teilte der enthusiasmierten Menge mit, daß die Verletzungen des guten Ratsherrn Broussel nicht so schwer wären, daß man Grund zu großer Besorgnis hätte. Die Menge brach in neue Heilrufe für Broussel aus und verlor sich dann allmählich, singend und johlend, in die angrenzenden Straßen.
Die Fähre der Oise
Als Rudolf seinen Beschützer aus dem Auge verlor, den er vor der königlichen Gruft zurückgelassen und noch mit den Blicken verfolgt hatte, spornte er sein Pferd an. Fürs erste, um seinen schmerzlichen Gedanken zu entkommen, und dann, um seine Gemütserschütterung vor Olivain zu bergen, da sie sich in seinen Zügen ausprägte. In Verberie befahl Rudolf, daß sich Olivain nach dem jungen Edelmann erkundige, der ihnen voraus war; man sah ihn etwa vor drei Viertelstunden vorüberreiten, allein er war, wie der Wirt aussagte, gut zu Pferde und machte einen scharfen Ritt. »Suchen wir ihn einzuholen,« sprach Rudolf zu Olivain, »er zieht zum Heere, wie wir, und kann uns ein angenehmer Gesellschafter werden.«
Es war vier Uhr nachmittag, als Rudolf in Compiègne ankam; er speiste mit gutem Appetit und erkundigte sich nach jenem jungen Edelmanne; er war, wie Rudolf, im Gasthause »zur Glocke« und »Flasche« eingekehrt, dem besten in Compiègne, und setzte seine Reise mit dem Bedeuten fort, er wolle in Royon übernachten. »Wir wollen gleichfalls in Noyon übernachten,« sagte Rudolf. »Gnädigster Herr,« entgegnete Olivain ehrerbietig, »erlauben Sie mir zu bemerken, daß wir diesen Morgen unsere Pferde schon sehr angestrengt haben. Ich denke, es wäre gut, hier zu übernachten und morgen wieder frühzeitig aufzubrechen.«
»Es ist der Wunsch des Herrn Grafen de la Fère, daß ich mich beeile,« erwiderte Rudolf, »und er will, daß ich den Prinzen am Morgen des vierten Tages eingeholt habe, reiten wir somit nach Noyon, das wird ein Tagesritt, denen ähnlich, sein, die wir von Blois nach Paris gemacht haben. Um acht
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