Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
fragte Mazarin; und was ist er für ein Mensch?«
»Ein wahrhafter Engländer, gnädigster Herr, rötlich-blonde Haare, mehr rötlich als blond, graublaue Augen, mehr grau als blau, übrigens hochmütig und starr.«
»Er soll seinen Brief abgeben.«
Als nun Bernouin aus dem Kabinett wieder in das Vorgemach kam, sagte er: »Der gnädige Herr verlangt den Brief.«
»Monseigneur wird den Brief nicht ohne den Überbringer sehen,« erwiderte der junge Mann; »um Euch aber zu überzeugen, daß ich wirklich ein Schreiben bringe, so seht, da ist es.« Bernouin betrachtete das Siegel, und als er sah, daß der Brief wirklich von dem General Oliver Cromwell komme, kehrte er zu Mazarin zurück. »Füget noch bei,« sprach der junge Mann, »ich sei kein gewöhnlicher Bote, sondern ein außerordentlicher Abgesandter.« Als Bernouin in das Kabinett zurückgekehrt und wenige Sekunden darauf wieder herausgekommen war, sagte er, die Türe offen haltend: »Treten Sie ein, mein Herr!«
Der junge Mann trat an die Schwelle des Kabinetts, indem er den Brief in der einen, den Hut in der andern Hand hielt. Mazarin stand auf und sagte: »Mein Herr, Ihr habt für mich ein Beglaubigungsschreiben?«
»Monseigneur, hier ist es,« sprach der junge Mann. Mazarin nahm, erbrach und las es:
»Herr Mordaunt, einer meiner Sekretäre, wird Sr. Eminenz, dem Kardinal Mazarin in Paris dieses Einführungsschreiben überreichen; überdies überbringt er noch ein zweites, vertrauliches Schreiben für Se. Eminenz. Oliver Cromwell.
Sehr wohl, Herr Mordaunt,« sprach Mazarin, »gebt mir diesen zweiten Brief und nehmt Platz.« Der junge Mann zog ein zweites Schreiben aus der Tasche, überreichte es dem Kardinal und setzte sich. Indes überließ sich der Kardinal ganz seinen Betrachtungen und drehte den Brief, ohne ihn zu erbrechen, in seiner Hand herum; um aber den Boten irrezuleiten, fing er seiner Gewohnheit gemäß an, ihn auszufragen und war aus seinen Erfahrungen überzeugt, daß es wenigen Menschen gelang, ihm etwas zu verhehlen, wenn er zugleich fragte und forschte. »Ihr seid noch sehr jung, Herr Mordaunt,« sprach er, »für das mühevolle Geschäft eines Botschafters, bei dem oft die ältesten Diplomaten scheitern.«
»Monseigneur, ich bin dreiundzwanzig Jahre alt, doch irrt Ew. Eminenz, indem sie mich jung nennt. Ich bin älter als Sie, obschon ich Ihre Weisheit nicht habe « »Wieso, mein Herr?« versetzte Mazarin; »ich verstehe Euch nicht.« »Ich sage, gnädigster Herr, daß die Jahre des Leidens doppelt zählen, und daß ich zwanzig Jahre lang gelitten habe.« »Ach ja, nun verstehe ich,« sprach Mazarin, »Mangel an Vermögen. Nicht wahr, Ihr seid arm?« Dann fügte er in Gedanken hinzu: »Diese englischen Revolutionsleute sind durchwegs Schufte und Gesindel.«»Monseigneur, eines Tages sollte mir ein Vermögen von sechs Millionen zufallen, doch hat man es mir entzogen.« »Ihr seid also kein Mann aus dem Volke?« fragte Mazarin erstaunt. »Besäße ich meinen Rang, so wäre ich Lord; führte ich meinen Namen, so würden Sie einen der berühmtesten Englands hören.« »Wie nennt Ihr Euch also?« fragte Mazarin. »Ich nenne mich Mordaunt,« erwiderte der junge Mann mit einer Verneigung. Mazarin sah, der Abgesandte Cromwells wünsche sein Inkognito zu bewahren. »Ihr habt doch noch Verwandte?« »Ja, Monseigneur, ich habe noch einen.« »So unterstützt er Euch?« »Ich ging dreimal zu ihm und flehte ihn um seinen Beistand an, und dreimal ließ er mich durch seine Bedienten fortjagen.« »Ach mein Gott, lieber Herr Mordaunt,« rief Mazarin, in der Hoffnung, den jungen Mann durch erkünsteltes Mitleid in irgendeine Schlinge gehen zu lassen, »mein Gott, wie interessiert mich doch Eure Erzählung. Kennt Ihr also Eure Abkunft nicht?« »Ich weiß sie erst seit kurzer Zeit.« »Und bis zu dem Augenblicke, wo Ihr sie kennen gelernt ...?« »Habe ich mich wie ein verlassenes Kind betrachtet.« »So habt Ihr Eure Mutter nie gesehen?« »Allerdings, Monseigneur; sie kam, als ich noch Kind war, dreimal zu meiner Amme; an das letztemal, da sie kam, erinnere ich mich so lebhaft; als ob es heute gewesen wäre.« »Ihr habt ein gutes Gedächtnis,« bemerkte Mazarin. »Ach ja, Monseigneur,« entgegnete der junge Mann mit so seltsamer Betonung, daß dem Kardinal ein Schauder durch die Adern rollte. »Was ist aus Euch geworden?« »Als ich auf den Heerstraßen weinte und bettelte, nahm mich ein Priester von Kingston an, unterrichtete mich in der Religion
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