Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
beigelegt hatte. Fünf Minuten nach Erteilung jenes Auftrages erschien Rudolf. »Vicomte,« sprach Athos zu ihm, »begleitet Mylord bis zu seinem Gasthause und lasset niemand sich ihm nähern.«
»Auf morgen, Graf,« rief Lord Winter. »Ja, Mylord.«
Der kleine Zug bewegte sich nach der Straße Saint-Louis, Olivain zitternd wie Sofia bei jedem Schimmer zweideutigen Lichtes; Blaisois ziemlich fest, weil er nicht wußte, daß man in irgendeiner Gefahr schwebe, Tony links und rechts spähend, ohne ein Wort zu sprechen, da er nicht Französisch verstand. Lord Winter und Rudolf schritten nebeneinander und unterredeten sich. Grimaud, der dem Befehle Athos' zufolge die Fackel in der einen, das Gewehr in der andern Hand dem Zuge vorangeschritten war, gelangte vor das Gasthaus Lord Winters, schlug mit der Faust an das Tor, und als es geöffnet war, verneigte er sich vor Lord Winter, ohne etwas zu sprechen.
Abermals eine Königin, welche Hilfe anspricht
Athos ließ sogleich am Morgen Aramis in Kenntnis setzen und übergab seinen Brief Blaisois, dem einzigen Diener, der ihm geblieben war. Blaisois traf Bazin, wie er eben sein Küsterkleid anzog, da er an diesem Tage den Dienst in Notre-Dame hatte. Athos trug Blaisois auf, er möchte Aramis selbst zu sprechen suchen, Blaisois fragte nach Herrn d'Herblay und bestand ungeachtet der Versicherungen Bazins, daß er nicht zu Hause sei, so fest darauf, daß er Bazin ungemein in Zorn brachte. In diesem Momente und bei dem ungewöhnlichen Geräusch kam Aramis herbei und öffnete behutsam und halb die Türe seines Schlafgemaches. Blaisois nahm seinen Brief aus der Tasche und reichte ihn Aramis. »Vom Grafen de la Fère?« fragte Aramis, »es ist gut.« Somit kehrte er in sein Zimmer zurück, ohne daß er nach der Veranlassung dieses Lärmes gefragt hätte.
Um zehn Uhr hatte sich Athos bei gewohnter Pünktlichkeit auf der Louvrebrücke eingefunden. Hier traf er den Lord Winter, der in demselben Augenblicke ankam. Sie warteten beiläufig zehn Minuten lang. Lord Winter begann schon zu fürchten, Aramis möchte nicht kommen. »Geduld,« rief Athos, der seine Augen gegen die Straße du Bac gerichtet hielt; »Geduld, dort kommt einer, das muß Aramis sein.« Er war es in der Tat.
Wie sich wohl erraten läßt, so umarmten sich Aramis und Lord Winter aufs zärtlichste. »Wohin gehen wir?« fragte Aramis. »Schlägt man sich vielleicht? Potz Wetter, ich habe diesen Morgen kein Schwert, und muß wieder nach Hause gehen, um eines zu holen.« »Nein,« versetzte Lord Winter, »wir wollen Ihrer Majestät der Königin von England einen Besuch abstatten.« »O recht schön!« rief Aramis. »Und aus welcher Ursache machen wir diesen Besuch?« fuhr er fort, und neigte sich zu Athos' Ohr.« »Meiner Treue, das weiß ich nicht; vielleicht fordert man von uns irgendein Zeugnis.« »Wäre es etwa jener verwünschten Geschichte wegen?« fragte Aramis, »In diesem Falle läge mir wenig daran, hinzugehen, denn es geschähe, um, irgendeinen Verweis zu holen; aber seit ich deren andern gebe, mag ich selbst nicht gern welche einstecken.« »Wenn das so wäre, so würde uns Lord Winter nicht zu Ihrer Majestät führen, denn auch er hätte seinen Teil daran, da er einer der Unsrigen war.« »Ach ja, es ist wahr. So gehen wir also.«
Als sie im Louvre ankamen, schritt Lord Winter voraus; übrigens hütete nur ein Pförtner die Türe. Beim Tageslichte schienen Athos, Aramis und selbst der Engländer die auffallende Armseligkeit der Wohnung wahrzunehmen, die eine hartherzige Großmut der unglücklichen Königin einräumte. Große Säle, ganz von Möbeln entblößt, beschädigte Wände, an welchen hier und da noch beschädigte Gesimse glänzten, die der Fahrlässigkeit trotzten, Fenster, die sich nicht mehr schlossen, und worin die Scheiben fehlten; kein Teppich, keine Wachen, kein Diener, das fiel Athos schon anfangs auf und darauf machte er auch seine Begleiter aufmerksam, indem er sie mit dem Ellbogen anstieß und auf dieses Elend mit den Augen hinwies. »Mazarin wohnt besser,« bemerkte Aramis. »Mazarin ist beinahe König,« versetzte Athos, »und Madame Henriette ist beinahe nicht mehr Königin.«
Die Königin schien schon ungeduldig zu warten, denn auf die erste Bewegung, die sie in ihrem Vorgemach hörte, trat sie selber an die Schwelle, um da die Höflinge ihres Unglücks zu empfangen. »Tretet ein und seid mir willkommen, meine Herren,« sprach sie. Die Edelleute traten ein und blieben anfangs stehen,
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