Zwanzig Jahre nachher (German Edition)
sagen müssen, daß er vor Freude zitterte, als er an ihr die Schande und den Selbstmord seines Bruders rächte. Als ein sittenloses Mädchen, als ehebrecherische Frau, als unnatürliche Schwester, als Mörderin und Giftmischerin war sie verabscheut von allen Nationen, die sie in ihrer Mitte aufgenommen, und starb, von dem Himmel und von der Erde mit Fluch bedeckt – so war dieses Weib.«
Ein unwillkürlich starkes Schluchzen zerriß Mordaunt den Schlund und trieb ihm das Blut in das leichenfahle Antlitz; er ballte die Hände, und das Gesicht von Schweiß triefend, die Haare auf der Stirne gesträubt wie jene Hamlets, rief er aus, von Wut verzehrt: »Schweigt, sie war meine Mutter! Ihre Fehltritte, ich kenne sie nicht; ihre Freveltaten, ich kenne sie nicht: ich weiß nur so viel, daß ich eine Mutter hatte, daß fünf gegen ein Weib verbündete Männer sie auf eine nächtliche, verstohlene Art umgebracht haben. Das weiß ich, daß Ihr dabei gewesen, Herr, daß Ihr dabei gewesen, mein Oheim, und daß Ihr wie die anderen und noch lauter als die anderen gerufen habt: 'Sie muß sterben!' – Ich sage Euch also auch zur Warnung, höret wohl auf diese Worte, und prägt sie in Euer Gedächtnis auf eine Weise, daß Ihr sie niemals vergessen könnet: 'Ob dieses Mordes, der mir alles raubte, ob dieses Mordes, der mich namenlos machte, ob dieses Mordes, der mich arm, der mich verderbt, boshaft und unversöhnlich machte, will ich zuerst Rechenschaft von Euch fordern und dann von Euren Mitschuldigen, sobald ich sie werde kennen gelernt haben.'«
Den Haß in den Augen, den Schaum vor dem Munde, die Faust gezückt, hatte hier Mordaunt einen Schritt, einen furchtbar drohenden Schritt gegen Lord Winter getan. Dieser fuhr mit der Hand an seinen Degen, und sprach mit dem Lächeln eines Mannes, der seit dreißig Jahren mit dem Tode gespielt hat: »Wollet Ihr mich morden, Herr? dann will ich Euch als meinen Neffen erkennen, denn Ihr seid dann wahrhaft der Sohn Eurer Mutter.«
»Nein,« entgegnete Mordaunt, während er alle Fibern seines Gesichtes, alle Muskeln seines Leibes herabzuspannen bemüht war; »nein, ich will Euch nicht töten, wenigstens in diesem Augenblicke nicht, da ich ohne Euch die andern nicht auffinden könnte. Sobald ich sie aber kenne, so zittert; ich habe den Scharfrichter von Bethune durchbohrt, ich habe ihn ohne Erbarmen durchbohrt, und er war doch von Euch allen der mindest Schuldige.« Nach diesen Worten entfernte sich der junge Mann und stieg mit ziemlicher Ruhe die Treppe hinab, um kein Aufsehen zu erregen; dann schritt er unten an Tony vorbei, der auf das Geländer gestützt war, und nur auf einen Ruf seines Herrn harrte, um hinaufzueilen. Allein Lord Winter rief nicht; er blieb zermalmt und kraftlos mit gespannten Ohren stehen, und dann erst, als er den Hufschlag des forttrabenden Pferdes vernahm, sank er mit den Worten auf einen Stuhl: »Mein Gott, ich danke dir, daß er keinen kennt, außer mir!«
Die Vaterschaft
Während jener furchtbare Auftritt bei Lord Winter stattfand, saß Athos neben dem Fenster seines Zimmers, den Ellbogen auf einen Tisch, den Kopf auf die Hand gestützt, und lauschte Rudolf, der ihm die Abenteuer seiner Reise und die umständlichen Vorfälle der Schlacht erzählte. Das schöne und edle Gesicht des Kavaliers hatte den Ausdruck einer unsäglichen Wonne bei dem Berichte dieser ersten so frischen und reinen Gemütsbewegungen, er sog wie harmonische Musik die Töne dieser jugendlichen Stimme ein, in der sich bereits tiefere Empfindungen aussprachen. Das machte ihn das vergessen, was Trauriges in der Vergangenheit lag, und was ihm die Zukunft umwölkte. Man hätte sagen mögen, die Zurückkunft dieses teuren Kindes hatte ihm sogar die Besorgnisse in Hoffnungen umgewandelt.
»Und du warst bei dieser großen Schlacht, du hast teilgenommen, Bragelonne?« fragte Athos, der alte Musketier, der in diesem Momente so glücklich war wie niemals.
»Ja, mein Herr.«
»Und sie ist heiß gewesen, sagst du?«
«Der Prinz hat elfmal in Person angegriffen.«
»Bragelonne, er ist ein großer Kriegsmann.«
»Er ist ein Held, mein Herr, ich verlor ihn keinen Augenblick aus dem Gesichte. O, mein Herr, wie schön ist es, sich Condé zu nennen und seinen Namen so zu tragen!«
»Ruhig und glänzend, nicht wahr?«
»Ruhig wie bei einer Parade, glänzend wie bei einer Festlichkeit. Wir näherten uns dem Feinde durch einen Engpaß, man hatte uns verboten, zuerst zu schießen, und so gingen wir mit
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