Zwei Frauen: Roman (German Edition)
Himmlische Heerscharen auf rosaroten Wölkchen –«
»Warum nehmen Sie mich nicht ernst?«
»Sollte ich das?«
»Ja.«
»Und warum sollte ich das bitte schön tun?«
Ganz leise fing ich an zu reden, erzählte vom Heiligabend und von dem, was mein Vater und meine Mutter gesagt hatten. »Ich lebe, und wenn ich es wirklich will, kann ich auch überleben. Ich muss eben kämpfen, und Sie haben ja selbst gesagt, dass ich es schaffen kann, wenn ich will. Ich habe das jetzt endlich verstanden, und außerdem …«
Ich konnte gar nicht aufhören. All das, worüber ich mir so lange den Kopf zerbrochen und wofür ich so lange gelitten hatte, brach jetzt in einem wahren Wortschwall aus mir heraus:
»Ich weiß nicht, ob Sie sich noch erinnern«, sagte ich, »aber in der Nacht, in der Ina starb, da hat Schwester Gertrud etwas gesagt, was ich damals weder verstehen noch verkraften konnte. – Es fängt an in einem Waschraum, und es endet in einem Waschraum, und das bisschen dazwischen ist so furchtbar lächerlich. – Ich wusste natürlich, dass die Frauen, bevor sie ihre Kinder kriegen, im Waschraum den Einlauf bekommen. Ich wusste auch, dass die Toten hier in der Klinik erst mal in den Waschraum geschoben werden, weil sie nicht in den Krankenzimmern liegen bleiben dürfen. Was ich nicht wusste, war, von welchem ›lächerlichen bisschen dazwischen‹ Gertrud sprach. Ich wusste eben nicht, dass die Menschen ein und derselben Sache zwei verschiedene Namen geben, und deshalb hatte ich Angst vor dem Sterben, das ich Leben nannte, und wollte dieses Leben nicht, weil ich bereits starb. Früher habe ich mich beklagt, weil ich hier liegen muss, während andere in Diskotheken gehen und sich amüsieren. Heute weiß ich, dass die in Wirklichkeit die Beklagenswerteren sind, denn ich weiß um mein tägliches Sterben, und die denken nicht einmal daran. Die sind blind, ich sehe. Verstehen Sie, wie ich das meine?«
Daniela verzog keine Miene. Sie sah mich nur an, holte tief Luft und sagte nach einer ganzen Weile:
»Du sprichst wie eine Prophetin!«
Ich schluckte vor Schreck. »Tut mir Leid, wenn es sich so anhört!«, winselte ich.
»Es hört sich so an.«
»Es ist aber die Wahrheit!«
»Heißt das, dass ich dir glauben soll?«
»Ja.«
Daniela lachte auf. »Nein, Eva, das kannst du nicht erwarten nach all dem, was du –«
»Ich erwarte es aber!!«
Meine Stimme war plötzlich wieder scharf wie in meinen besten Zeiten. Daniela tat jedoch so, als würde sie das nicht bemerken, Sie stöhnte nur und meinte:
»Soll ich dir etwa Beifall klatschen, nur weil du behauptest –«
»Was heißt Beifall?«, fiel ich ihr ins Wort. »Ich verlange Standing ovations !!!«
Daniela begann zu schmunzeln. »Nun«, erklärte sie gedehnt, »so ein klitzekleines Teufelchen scheint mir ja doch überlebt zu haben, das beruhigt mich regelrecht.«
Das war endgültig zu viel. Ich blähte mich auf wie seit langem nicht mehr und schimpfte, dass die gläserne Schreibtischplatte zu klirren begann. »Da können Sie sogar ganz beruhigt sein, wenn Sie nämlich nicht aufhören, mich auf den Arm zu nehmen, Fräulein Römer, kann ich Ihnen versichern, dass gleich ganze Hundertschaften von Teufelchen über Sie herfallen werden, und die sind dann nicht mal klitzeklein, sondern riesengroß mit Flammenschwertern und Gift spritzenden Mäulern, und die werden Sie würgen und würgen und würgen und würgen und …«
Ohne Luft zu holen, stieß ich weiter diese beiden Worte aus und fuchtelte dabei mit den Händen, als würde ich einen nassen Aufnehmer auswringen. Eine ganze Weile sah Daniela sich das an, dann lachte sie plötzlich aus vollem Halse.
»Du bist unglaublich, Eva Martin! Unmöglich! Unverbesserlich! Unfassbar! Einfach –«
»Einfach ich !«, sagte ich mit letzter Kraft.
»Genau!«, bestätigte sie mir, und dabei lachte sie so lange, bis ihr die Tränen in die Augen stiegen. Erst dann beruhigte sie sich und sah mich an. Die Kälte war aus ihrem Blick verschwunden.
»Also gut«, erklärte sie mir, »du hast gewonnen.«
Ich fühlte mich unendlich erleichtert.
»Aber glaub mal bloß nicht, Eva, dass dich dieser Sieg nichts kosten wird.«
Sofort hatte es sich wieder mit meiner Erleichterung.
»Was … was soll das denn heißen?«, fragte ich vorsichtig.
»Dass ich Beweise verlange!«, erwiderte Daniela.
»Beweise?«
»Ja.«
»Was denn für Beweise? Soll ich etwa eine Spende –«
»Du sollst eine Therapie machen, Eva!«
»Nein!«
Das kam so
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