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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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als von vorne sieht, und sie hielten mir leider die Treue. Das galt für das Brennen in der Blase wie für die Herzkrämpfe und die berüchtigte Übelkeit, die solche Anverwandten wie »Pulle« und Magensonde nach sich zog.
    So gefasst, wie ich gehofft und geglaubt hatte, konnte ich das nicht hinnehmen. Vielmehr lieferte ich bereits nach wenigen Tagen das, was mein Vater »Zwergenaufstand« nannte.
    »Nun dreh doch nicht gleich wieder durch!«, brüllte er mich an. Meine Mutter nickte beipflichtend mit dem Kopf und meinte: »Wir haben es dir damals schon immer gesagt, Kind: Lenk dich ab!«
    Bereits am nächsten Tag brachten sie mir meine Schulbücher von einst, von da an begann ich auswendig zu lernen, was immer mir in die Quere kam: Balladen, chemische Formeln, Kurzgeschichten von Oscar Wilde, Gedichte von Jacques Prévert. Die Wirkung dieser »Ablenkung« war enorm, denn meine Hirnwindungen gerieten völlig aus dem Gleichgewicht. Monatelang hatten sie sich ausschließlich damit beschäftigen müssen, Schmerzen und unwohle Gefühle weiterzuleiten. Dass sie jetzt etwas Artfremdes leisten sollten, verwirrte sie dermaßen, dass mein Schmerzempfinden rapide sank.
    Erst als meine Fingernägel plötzlich anfingen, in die Höhe statt in die Länge zu wachsen und sich zu verfärben, brüchig zu werden und schließlich ganz von mir zu gehen, erst da verfiel ich wieder in Jammern und Wehklagen. Doch auch in diesem Fall wussten meine Eltern sofort Rat. Sie besorgten mir künstliche Fingernägel, und das seelische Problem wurde angegangen, indem man mich aufforderte, vom Auswendiglernen aufs Dazulernen umzusteigen.
    »Kann nicht schaden!«, meinten sie, bauten die einstmals so schnöde in den Schrank verbannte medizinische Fachliteratur vor mir auf, und meine Mutter sah mich streng an.
    »Und diesmal, meine liebe Eva«, sagte sie, »diesmal bitte ich um etwas weniger Arroganz!«
    Was sie damit meinte, war mir durchaus klar. Es war damals äußerst überheblich von mir gewesen, als Laie die malignen Lymphome erforschen zu wollen.
    »Beschäftige dich erst mal mit dem gesunden Körper!«, riet sie mir. »Mit seinem Skelett, seinem Blutkreislauf, dem Stoffwechsel.« Ich ließ mich darauf ein und fing an, von der Pike auf zu lernen. Das brachte mir nicht nur manche Erkenntnis ein, sondern ließ auch unendliche Fantasien in mir erwachen!
    Ich begann, mir meine Lage bildhaft vorzustellen. Dabei war der Krebs eine Spinne für mich, eine schwarze, fette Spinne mit langen, behaarten und fleischigen Beinen, die sich meinen Körper ausgesucht hatte, um darin ihr tödliches Netz zu spinnen. Aus eigener Kraft konnte sich dieser Körper nicht dagegen wehren. Er war zwar eine Burg mit festem Mauerwerk, aber je mehr der Eindringling sich ausdehnte, desto brüchiger wurde das Gebälk. Deshalb musste die Chemotherapie her, die einzige Kraft, die den Einsturz des Gemäuers verhindern konnte. Diese Therapie war eine Garde winziger Männchen in bunten Uniformen. Unermüdlich waren sie auf dem Vormarsch, und vor der Brust trugen sie kleine Dolche, und ihre Stiefel waren spitz, sodass es bisweilen schmerzte, wenn sie sich zu ihrem Feind vorarbeiteten. Hatten sie das aber erst geschafft, sträubten sich der dicken, fetten Spinne die widerlichen Haare. Sie fürchtete die farbenfrohen Wichte, denn sie musste zusehen, wie diese ihr so fein gesponnenes Netz zerstörten, wie sie zu ihren gierig vibrierenden Beinen vordrangen und darauf einschlugen, sie abschlugen, schlugen, schlugen … und jedes Mal, wenn sie schlugen, spürte auch ich den Schmerz, das Brennen in meiner Blase, die Krämpfe in meinem Herzen, die Übelkeit. All das war ein Zeichen für den Kampf in mir, all das war bei aller Grausamkeit ein Schritt in die Befreiung, jedes Mal, jedes Mal, jetzt …
    »Ach wat, du has ja en Knall!« So lautete Claudias einziger Kommentar. »Du musst echt en Knall ham, en geistig wachen Kopp kann auf so wat nich kommen … Spinne! … Burch! … Männekes! … nee!«
    Da sie ganz so tat, als hätte sie für meine Fantasie keinerlei Verständnis, und ich auch noch dumm genug war, ihr das abzunehmen, wurde unser Zusammenleben immer schwieriger. Sie fühlte sich überflüssig. Seit ich mit der neuen Chemotherapie begonnen hatte, wartete sie darauf, dass ich zu meinem alten Verhaltensmuster zurückkehrte. Da das nicht geschah, wurde ihre Enttäuschung täglich größer, denn sie musste mit ansehen, wie ich plötzlich mit anderen, eigenen Mitteln gegen meine

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