Zwei Frauen: Roman (German Edition)
Schmerzen kämpfte. Früher hatte sie mir in ähnlichen Situationen zur Seite gestanden und war mir damit eine echte Hilfe gewesen. Jetzt war mir ihre Anwesenheit eher eine Last, denn es lenkte mich ab, mit Claudia Konversation zu betreiben, statt mich in Konzentration zu üben. Sie spürte das, ich spürte es nicht. Sie litt darunter, ich bemerkte nicht einmal, dass sie litt. Mir fiel lediglich auf, dass sie zusehends verschlossener und spitzzüngiger wurde, und darüber ärgerte ich mich auch noch. Zu mehr war keine Zeit, ich war schließlich völlig ausgelastet. Wenn ich mich nämlich ausnahmsweise nicht hundeelend fühlte und auch nicht gerade über irgendeinem lehrreichen Buch hockte, saß ich bei Daniela »auf der Couch«, und das war alles andere als ein Zuckerschlecken.
Bereits nach zwei Sitzungen wurde Daniela klar, dass ich sie belogen hatte und gar nicht an mir arbeiten wollte.
»Du erzählst mir immer nur, was ich hören will«, schimpfte sie. »Was du fühlst, behältst du für dich!«
»Quatsch!«, schimpfte ich couragiert zurück. »Vielleicht fühle ich einfach nichts.«
»Im Gegenteil, Eva, du fühlst zu viel, und deshalb würde es dich überfordern, darüber zu reden.«
Sie wollte unbedingt mein Innenleben ergründen. Ich wollte dieses Innenleben unbedingt verbergen. Wie die Besessenen verfolgten wir unsere so entgegengesetzten Ziele und waren dabei einander zunächst ebenbürtig. Erst ganz allmählich machte sich in mir so etwas wie Erschöpfung breit. Ich fing an, mich immer häufiger zu fragen, warum ich all das überhaupt auf mich nahm. Doch jedes Mal, wenn ich mich das fragte, stieg die Angst in mir auf. Es war jene Angst, die Daniela mir unterstellt hatte, die Angst vor Gefühlen. Ich spürte in diesen Augenblicken ganz genau, dass es da tief in mir etwas gab, was ich nicht nur vor allen Fremden, sondern auch vor mir selbst verbarg, und dieses Etwas war der alleinige Grund für meine Widerborstigkeit.
Als Daniela bemerkte, dass ich mir dessen zusehends bewusst wurde, legte sie die Waffen nieder. Für kurze Zeit hatte ich sogar das Gefühl, als hätte ich in diesem Zweikampf gesiegt. Daniela aber wusste, dass ich den entscheidenden Schritt zur Selbsterkenntnis getan hatte und somit ihre »große Stunde« nahte. Ich wiegte mich in trügerischer Sicherheit und lief so meinem Schicksal geradewegs in die Arme.
Es geschah an einem kalten Februarabend. Gedankenverloren schlich ich den Gang von S 1 entlang, als plötzlich ein Bulle von Kerl aus einem Zimmer schoss. Er war stockbetrunken und brüllte wie auf dem Großmarkt.
»Die faule Sau soll aufstehen! Die soll mit nach Hause kommen und sich um die Blagen kümmern!«
Entsetzt wich ich zurück und sah im nächsten Moment Doktor Behringer, der mit dem Betrunkenen seine liebe Not hatte.
»Beruhigen Sie sich, Herr Becker«, flehte er, »in Ihrem Zustand … ich bitte Sie … nun beruhigen Sie sich doch …!«
Herr Becker wollte sich aber wohl gar nicht beruhigen. Immer wieder trat er mit Wucht gegen die Zimmertür, versuchte, sie mit Handkantenschlägen in appetitliche Einzelteile zu zerlegen, wehrte den hilflos wirkenden Doktor Behringer ab.
»Lass mich los, du Dreckskerl! Die faule Sau da drinnen soll raus aus dem Bett. Andrea, du Miststück …!« Er brüllte so laut, dass ich mir die Ohren zuhalten musste. Ich ging in Deckung, um keinen Fausthieb abzubekommen. Was ich jetzt hautnah erlebte, hatten Claudia und ich aus dem sicheren Eck unseres Zimmers schon häufiger mal mitbekommen.
»Musse ga nich hinhören!«, hatte sie jedes Mal gemeint. »Dat is bloß den Karl-Heinz, der Andrea ihr Mann!«
Jetzt, da ich diesen Karl-Heinz vor mir stehen sah, bereute ich, auf Claudia gehört und die Angelegenheit bisher ignoriert zu haben. Dieser tobende Mann faszinierte mich nämlich, ich glaubte ihn zu kennen, ja, ich war mir da sogar ganz sicher. Ich konnte mich nur nicht erinnern, woher ich ihn kannte, wann und wo ich ihm schon einmal begegnet war. Es musste wohl lange her sein.
Während ich mir darüber noch den Kopf zerbrach, vernahm ich aus dem Inneren des Zimmers ein hysterisches Kreischen. Eine sich überschlagende Frauenstimme ließ wissen, der versoffene Kerl da draußen wäre an ihrem frühen Tode schuld und sollte sich zum Teufel scheren. Es war wie in einem schlechten Theaterstück: keine leisen Töne, nur Gebrüll!
Trotzdem war ich nachhaltig beeindruckt. »Stell dir das doch mal vor!«, sagte ich zu Claudia, die sich jedoch völlig
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