Zwei Frauen: Roman (German Edition)
meinte sie. »Ich versteh’ auch gar nichts davon.«
Was ihr an Charme und Humor fehlte, machte Andrea durch grenzenlose Gutgläubigkeit wett: Binnen zwei langer Stunden breitete sie vor mir, einer wildfremden Person, ihre Vergangenheit aus. Sie erzählte von ihrer Lehre in der Metzgerei, von den ersten Knutschflecken am Hals, die sie unter Chiffontüchern versteckt hatte, und von den ausgelassenen Tanzabenden, bei denen sie als Zwanzigjährige Karl-Heinz begegnet war. Nach einer kurzen Verlobungszeit hatten die beiden geheiratet.
»Zu Anfang habe ich noch mitgearbeitet«, sagte sie, »aber als es uns finanziell dann so einigermaßen ging, wollten wir doch lieber Kinder statt Spülmaschine und Farbfernseher.«
Diese Kinder waren mittlerweile drei und fünf Jahre alt, und kurz nach der Geburt des Kleinen waren die ersten Anzeichen der Krankheit aufgetreten.
»Der Karl-Heinz hat das zuerst gar nicht so richtig mitbekommen«, erzählte Andrea. »Er wusste zwar, dass ich krank war, weil die Ärzte es ihm gesagt hatten, aber ernst genommen hat er das nicht. Er hat wohl geglaubt, das wäre so was wie Grippe. Aber jetzt, wo ich hier liege … ist ja auch schwer für ihn.«
Dass Andrea Verständnis für ihren Mann zeigte, rührte mich. Ich hatte schon geglaubt, außer meiner Mutter und mir würde jede gleich nach Frauenhaus und Scheidungsanwalt schreien, und das wollte ich gerade äußern, als die Zimmertür aufflog und ein sturzbesoffener Karl-Heinz hereintorkelte.
»Sie gehen jetzt wohl besser!«, riet mir seine Frau.
»Aber …«
»Bitte!!!«
Zwar tat ich ihr den Gefallen, blieb aber in der Nähe, um das Spektakel verfolgen zu können. Es lief alles ganz genauso ab wie beim letzten Mal. Karl-Heinz benutzte die gleichen Worte, Andrea benutzte die gleichen Worte, sie bekam sogar an der gleichen Stelle den gleichen hysterischen Anfall. Spätestens in diesem Moment wurde mir klar, dass sich diese beiden nicht aus Nervenschwäche heraus so aufführten. Sie taten es vielmehr, um jeweils Erwartungen des anderen zu erfüllen.
Wie hoch die waren, erfuhr ich bald am eigenen Leib. Volltrunken irrte sich der gute Karl-Heinz nämlich wenige Tage später in Zimmer, Bett und Frau und beschimpfte mich nach Strich und Faden. Er verlangte mehr Rücksicht und drohte damit, mir die Zähne aus dem Mund zu schlagen, wenn ich nicht sofort aufstünde und meine Pflicht täte.
»Wozu hab’ ich denn geheiratet?«, brüllte er. »Glaubst du etwa, ich geh’ malochen, damit du den ganzen Tag mit dem Arsch im Bett liegen kannst?«
Das verschlug mir die Sprache. Schreckensstarr lag ich da, meine Finger umklammerten die Bettdecke, die ich bis zum Hals heraufgezogen hatte, und mein Gesichtsausdruck war laut Claudias Aussage der einer hypnotisierten Maus. Das brachte den armen Karl-Heinz völlig durcheinander. »Heh?«, erkundigte er sich ängstlich, aber immer noch mit brutalem Unterton. »Was ist denn? – Andrea!!!«
Er wirkte plötzlich bedrückend hilflos und schien in sich zusammenzufallen. Da begriff ich, dass er wohl wesentlich mehr Angst ausstand als ich.
»Wenn de mich fertig machen willst, brauchste das bloß zu sagen«, lallte er. »Dann setzt es was!«
Bevor er diese Drohung in die Tat umsetzen konnte, kam gottlob Doktor Behringer. Der bot seinen ganzen Sarkasmus auf, um den Trunkenbold auf seinen Irrtum hinzuweisen. Dann führte er ihn ab, und zurück blieben eine hämisch kichernde Claudia und eine völlig verängstigte Eva.
Ich hätte schreien können. Ich hätte schreien können aus Angst vor einer Erinnerung, einer Erinnerung an die Angst.
»Wat?« Claudia runzelte die Stirn, als ich das stotternd von mir gab.
»Ja … ich … ich kenne ihn …!«
»Wem?«
»Karl-Heinz!«
»… Quatsch! Woher wills du so einen kennen? En Säufer?«
»Nein …«
»Wenn ich et dir doch sach!«
»Nei…ein …« Ich brach in Tränen aus, dass es meinen ganzen Körper erbeben ließ. Dabei wusste ich nicht einmal, warum ich weinte, ich wusste nur, dass ich weinen musste, um nicht an meinem Schmerz zu ersticken.
Claudia, die während der letzten Wochen nur eisiges Schweigen und beißenden Zynismus für mich übrig gehabt hatte, benahm sich plötzlich wieder wie der liebste und verständnisvollste Mensch auf Gottes Erdenrund.
»Aber Evken«, flüsterte sie, während sie sich auf meine Bettkante setzte, »muss doch nich weinen wegen so einen. Dat is doch en Schlappschwanz. Bloß weil er seine Olle wieder nach Hause zwingen will, hat
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