Zwei Frauen: Roman (German Edition)
waren rot und verquollen, aus seiner Nase tropfte es, und sein Mund war verzerrt. »Wissen Sie es schon?«, schluchzte er, während er auf den Knien auf mich zurutschte. »Meine Frau ist tot. Meine Andrea. Was soll ich bloß den Kindern sagen? Was soll ich bloß –«
Mit seinen starken Arbeiterarmen umfasste er meine dürre Taille und lehnte seinen Kopf gegen meinen Bauch. Ich spürte, wie seine Tränen die Seide meines Nachthemds durchdrangen, und ich wollte nur noch schreien … davonlaufen … Ich stand aber nur stumm da und rührte mich nicht. Die Nachtschwester hielt diese Haltung für den Ausdruck majestätischer Gefasstheit. Sie bat mich, für einen Moment die Stellung zu halten.
»Ich hole den Doktor!«
Bevor ich sie hätte zurückhalten können, war sie auch schon fort, und ich war allein, allein mit dem schluchzenden Ungetüm zu meinen Füßen, das sich an mich klammerte und das etwas in mir erweckte, wovor ich mich fürchtete.
Ich schloss die Augen. Ganz weit legte ich meinen Kopf in den Nacken, so weit, dass ich glaubte, meine Halsmuskeln müssten reißen.
»Sie brauchen keine Angst vor mir zu haben«, flüsterte Karl-Heinz. »Ich will ja bloß weinen, mehr nicht.«
Erschüttert blickte ich ihn an und glaubte, mein Herz würde stehen bleiben. Dieses Haar, das ihm wirr in die Stirn fiel, diese Augen, in denen so unendlich großer Schmerz lag, diese Tränen, die über sein Gesicht rannen, … ja, ich hatte Angst vor diesem Mann. Ich hatte Angst, etwas zu sagen oder etwas zu tun, und ich hatte diese Angst, weil ich das alles schon einmal erlebt hatte. Ich konnte mich nur nicht mehr erinnern. Ich wollte mich aber auch gar nicht erinnern. Ich wollte nur weg von hier, weg, weit weg. Je mehr ich mir dessen bewusst wurde, desto stärker begann ich zu zittern. Mein ganzer Körper bebte, und das entging Karl-Heinz nicht.
»Schschsch …«, hauchte er und strich mit den Händen über meine Schenkel, umfasste mein Becken und presste seinen Kopf so fest in meinen Schoß, dass es fast schmerzte. Jeden einzelnen seiner Finger spürte ich, und ich spürte seine Wärme, seinen Atem auf meiner Haut.
»Nein!«
Ich schrie wie von Sinnen.
»Nein!!«
Ich wusste genau, was er vorhatte, ich erinnerte mich.
»Nein!!!«
Ich hatte plötzlich das Bedürfnis, diesen Mann zu meinen Füßen zu treten und zu kratzen, zu beißen, zu bestrafen.
Bevor es dazu kommen konnte, kam jedoch die Nachtschwester zurück. Doktor Behringer folgte ihr schnellen Schrittes, und er war sichtlich erregt.
»Nehmen Sie sich zusammen!«, brüllte er Karl-Heinz an, noch ehe er richtig im Zimmer stand. »Das ist ja nicht mit anzusehen. Kommen Sie!« Er packte den Mann unter die Arme und wollte ihn gewaltsam auf die Füße stellen, aber Karl-Heinz rührte sich zunächst nicht vom Fleck.
»Was soll das Theater?«, brauste Behringer auf. »Benehmen Sie sich gefälligst wie ein Mann, Herr Becker! Stehen Sie auf!«
Wieder packte er ihn, worauf Karl-Heinz laut aufschluchzte.
»Ich will doch bloß weinen«, wimmerte er. »Meine Frau ist tot, sie –«
»Sie sind ja betrunken!«
»Meine Andrea …!«
Endlich gelang es Doktor Behringer, mich aus Karl-Heinz’ Klauen zu befreien, und sofort wich ich zurück, lehnte mich mit dem Rücken gegen den Türpfosten.
»Ihre Andrea!«, sagte Behringer derweil mit bitterböser Stimme. »Ihre Andrea ist tot, Herr Becker, weil Sie mit ihr geschlafen haben zu einem Zeitpunkt, wo kein Mann mit seiner Frau schlafen darf. Sie haben sie –«
»Ich habe sie geliebt!«
»Mit Liebe hat das nichts zu tun. Ihre Frau hat Tabletten von uns bekommen. Sie hätte steril sein müssen, Herr Becker, aber Sie haben nicht gewollt, dass sie die Medikamente nahm, Sie –«
»Sie hat es nicht gewollt«, schrie Karl-Heinz. »Sie wollte meine Frau sein. Sie wollte nicht schon alt sein. Und dieses Zeug, … das … das … ich habe sie geliebt, und sie hat mich geliebt. Das war doch nichts Schlechtes. Das kann doch nichts Schlechtes gewesen sein. Mein Gott, was soll ich bloß den Kindern sagen? Sie kommen in ein Heim, weil ihre Mutter tot ist, aber das kann ich ihnen doch nicht so einfach sagen. Oh Gott … Gott muss mir helfen!«
Diese letzten Worte kamen ihm wie eine Erleuchtung über die Lippen, und er sah mich an. Noch immer stand ich da, den Rücken gegen den Türpfosten gelehnt, zitternd, hilflos. Ich konnte nicht davonlaufen, aber auch nicht bleiben.
»Gott muss mir helfen!«, wiederholte Karl-Heinz. »Ich muss ja leben,
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