Zwei Frauen: Roman (German Edition)
dass ich sie ungenutzt hätte lassen können. Ich musste zu Hilarys Party gehen, das war ich mir schuldig.
Ich tat es mit voller Überzeugung. Deshalb war ich auf dem Weg zum Theater auch bester Laune. Mein schönstes Kleid hatte ich an, einen zweiteiligen, schwarzgrundigen, mit dezenten Blütenmotiven bedruckten Traum aus Musselin. Der Rock war plissiert und reichte eine Handbreit übers Knie, was damals sehr modern war. Die Bluse war eng tailliert und hatte so genannte Fledermausärmel. Wunderschön kam ich mir darin vor, und ich fühlte mich so wohl, das Leben war herrlich, so herrlich …
An dieser Stelle endete später mein Erinnerungsvermögen. Plötzlich war da ein Loch in meinem Kopf, ein dunkles, schwarzes Loch, das Zeit und Raum verschlang. Ich kam erst wieder zu mir, als ich bereits auf Hilarys Party war, aber ich wusste weder, wie ich dorthin gekommen war, noch, wie lange ich zu diesem Zeitpunkt bereits dort weilte. Ich stand da, eine brennende Zigarette in der linken, einen Martini in der rechten Hand, und fühlte mich unendlich müde, unendlich erschöpft.
»Etwas nicht in Ordnung?«, sprach mich jemand an, und ich drehte mich um.
Vor mir stand ein Mann, der mich angrinste, und neben ihm stand noch ein Mann, der mich angrinste, und überhaupt waren da überall Männer, die mich angrinsten … Ich ließ das Glas mit dem Martini fallen und schrie. Ich hatte Angst, und ich bemerkte erst jetzt, dass mein Kopf fürchterlich schmerzte.
Da war eine Beule. Sie war riesig, aber ich wusste nicht, woher ich sie hatte. Diese vielen, fremden Männer standen immer noch da und grinsten mich an, und als mich einer von ihnen bei den Schultern fasste, war es ganz um mich geschehen: Ich attackierte ihn mit der brennenden Zigarette und ergriff die Flucht.
Draußen herrschte finsterste Nacht. Niemand war mehr auf der Straße, und ich rannte nach Hause, völlig verstört, mit dröhnendem, schmerzendem und leerem Kopf.
Frau Gruber erwartete mich bereits. »Das war dein erster und letzter Ausflug ins Nachtleben!«, empfing sie mich. »Wo kommst du her? Weißt du, wie spät es ist? Wo hast du dich herumgetrieben?«
Ich hätte viel darum gegeben, wenn ich ihr eine dieser Fragen hätte beantworten können, aber ich wusste gar nichts mehr und konnte nur noch heulen und schluchzen.
Frau Gruber nahm das zur Kenntnis, auf ihre Art.
»Bist du betrunken, Eva?«
»Nein …«
»Hast du Drogen genommen, Eva?«
»Nein.«
»Was dann, Eva?«
Ich schaute sie an und schluckte. Eh ich mich versah, versprach ich meiner Ballettmeisterin mit kindlicher Stimme, von nun an ein artiges Mädchen zu sein.
»Was?«, vergewisserte sie sich.
»Nie mehr … nie mehr was Böses tun …«, wimmerte ich, »… nie mehr …«
»Du bist doch betrunken, Eva!«
»Nein!«
»Du hast Haschisch geraucht?«
»Nein!«
»Dann geh jetzt zu Bett!«
Damit war diese Angelegenheit für Frau Gruber erledigt, was mir im Nachhinein bewies, dass sie noch wesentlich brutaler und skrupelloser war, als ich es mir in meinem Kinderverstand jemals hatte vorstellen können! Was mir widerfahren war an diesem Samstagabend, war so schrecklich gewesen, dass ich es sofort vergaß. Am nächsten Morgen konnte ich mich an überhaupt nichts mehr erinnern, ich wusste nicht einmal mehr, dass es diese vergangene Nacht gegeben hatte, und die mysteriöse Beule an meinem Kopf war mir völlig gleichgültig. Sie war nun mal da, mehr nicht.
Frau Gruber wusste indes genau Bescheid. Sie wusste zwar auch nicht, was sich zugetragen hatte, zumindest aber, dass sich da etwas zugetragen hatte, doch hütete sie sich, mich darauf anzusprechen. Für ihre Begriffe war nämlich ein Wunder geschehen. In einer einzigen Nacht hatte ich mich ganz von allein zu dem entwickelt, was sie jahrelang vergeblich aus mir hatte machen wollen. Endlich war ich ein formvollendetes Püppchen, ein Püppchen aus Überzeugung. Hatte ich früher zu dem geschwiegen, was mir nicht passte, so passte mir jetzt plötzlich alles, sodass sich das Schweigen erübrigte. Früher hatte ich nur widerwillig getan, was sie verlangte, jetzt tat ich es gern. Jetzt gehörte ich endgültig ihr, und da fragte sie natürlich nicht, warum das wohl so war.
Ich selbst fragte mich das auch nicht, obwohl meine so genannten Veränderungen alles andere als unauffällig waren. Ich legte mir nämlich von einem Tag auf den anderen jede Menge exklusiver Ticks zu. Ich ging zu den teuersten Friseuren, ich kleidete mich nur noch in Haute Couture
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