Zwei Frauen: Roman (German Edition)
ich mein Elternhaus am 22. Juni 1973 verlassen hatte, kehrte ich am 2. Oktober 1975 dorthin zurück. Vor der Tür stand das italienische Super-Luxus-Sport-Kabriolett, von dem ich seit langem geträumt hatte; neben dem Auto standen meine Eltern, sie wirkten verlegen.
»Weißt du«, sagten sie, »du hast getan, was du wolltest, Eva, aber der Erfolg gibt dir Recht. Lass uns den Ärger begraben!«
Diese Versöhnung machte mein Glück vorerst vollkommen. Ich zog zwar nicht wieder zu meinen Eltern – das hätte ich Frau Gruber einfach nicht antun können –, aber sie holten auch so in wenigen Wochen nach, was sie in zweieinhalb langen Jahren versäumt zu haben glaubten. Ich wurde verwöhnt, geliebt und getröstet. Den Trost brauchte ich bald nötiger als das tägliche Brot. Von nun an ging alles ganz schnell. Das Schicksal erwartete mich zum Hauptkampf, im Ring war schon alles bereit. Das Einläuten übernahm Frau Gruber, indem sie befand, Jimmy hätte die ihr so sehr verhasste Hilary bei der Rollenvergabe für den Ballettabend bevorzugt. »Sie kann im Amerikaner darstellerisch einfach mehr bringen, als du«, sagte sie. »Und das musst du wettmachen, Eva. Du musst technisch perfekt sein, brillant … ich werde das schon regeln.«
Fortan war Frau Gruber bei jeder Probe anwesend und mischte sich in alles ein. Choreographierte Jimmy eine doppelte Pirouette, wollte sie eine dreifache, verlangte er eine Serie Pas de quatre, bestand sie auf einem Pas de six. Herr Porter wollte sich von Frau Gruber natürlich nicht ins Handwerk pfuschen lassen. So keiften sie einander an, dass die Fetzen nur so flogen, und dieser Streit wurde auf meinem Rücken ausgetragen, denn letzten Endes bekam meine Ballettmeisterin doch immer, was sie wollte. Jimmy bemerkte nicht einmal im Nachhinein, wie er ihr ins Netz gegangen war. Arglos lieferte er die Ideen, Frau Gruber arbeitete sie aus, und ich hatte sie umzusetzen. Da es sich dabei oftmals um wahre Kabinettstückchen handelte, musste ich noch viel mehr arbeiten als zuvor. Manchmal hing ich dem Zusammenbruch nahe über einer der Trainingsstangen und brach in Tränen aus. Aber selbst dafür gab es dann noch Schelte.
»Hör auf zu flennen!«, fuhr Frau Gruber mich dann an.
»Aber ich kann nicht mehr.«
»Wer noch sagen kann, dass er nicht mehr kann, der kann noch. Wer wirklich nicht mehr kann, bricht wortlos zusammen. Weiter, Eva!!!«
Hatte Frau Gruber bisher gesagt: »Wenn du nicht spurst, bilde ich dich nicht weiter aus!«, so sagte sie jetzt: »Wenn du nicht spurst, lasse ich dich fallen wie eine heiße Kartoffel!« Das klang in meinen Ohren noch gefährlicher. Sie interessierte sich eben nicht für den Menschen in mir, für sie war ich nur die Tänzerin Eva. Das wurde mir einmal mehr klar, als ich binnen kurzer Zeit fünf Kilo Gewicht verlor und darüber erschrak. Frau Gruber zischte mich nur an:
»Du warst eh zu fett. Eine Ballerina darf schließlich nicht aussehen wie das Reklamegirl auf einer Haferflockenpackung.«
Kurze Zeit später entdeckte ich in meinen Leistenbeugen teils sichtbare, teils nur fühlbare Knoten und Knötchen. Die kleinsten hatten das Ausmaß einer Erbse, die größten das eines Pfirsichkerns. Einige waren gerötet, druckempfindlich und beweglich, andere waren hart abgegrenzt und bereiteten nicht die geringsten Beschwerden.
Auch dafür hatte Frau Gruber sofort eine Erklärung. »Das kommt von deinen engen Helanca-Trikots«, schimpfte sie.
Also stieg ich um auf weite Baumwolltrikots, aber die Knubben, wie Frau Gruber sie nannte, rührten sich trotzdem nicht von der Stelle. Stattdessen begannen sie zu schmerzen, und diese Schmerzen wurden zunehmend unerträglich. Sie fielen plötzlich über mich her, sodass mir der Atem stockte, sie lähmten für den Bruchteil einer Sekunde meine Beine und umspannten meinen Unterleib wie ein stählernes Korsett, dann war es wieder vorüber.
»Sprich da bloß nicht drüber!«, sagte Frau Gruber. »Wenn das im Theater jemand erfährt, wirst du sofort umbesetzt.«
»Aber sollte ich denn nicht zum Arzt gehen?«
»Was?« Frau Gruber war über alle Maßen empört. »Was von allein gekommen ist«, brüllte sie, »wird wohl auch von allein wieder verschwinden. Man kann doch nicht wegen jeder Lächerlichkeit gleich zum Arzt rennen!«
Ich beschloss, ein letztes Mal auf sie zu hören. Lächerlich machen wollte ich mich schließlich nicht. Auch meinen
Eltern sagte ich nichts, um ihnen unnötige Sorgen zu ersparen.
Da ich die Schmerzen
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