Zwei Frauen: Roman (German Edition)
und pflegte mein Äußeres wie einen Augapfel. Mein besonderes Faible galt kostbarster Nachtwäsche, die ich mir bald schon in allen Variationen zulegte. Geld hatte ich schließlich genug. Neben meiner Theatergage verdiente ich an Werbeveranstaltungen, die Frau Gruber organisierte. So war mein Konto schon bald fünfstellig, und ich träumte von einem italienischem Super-Luxus-Sport-Kabriolett.
Meine Kollegen sprachen mich nacheinander auf meine plötzliche Wandlung an, doch ich ging jeder Nachfrage aus dem Weg. Mehr noch, ich entwickelte binnen kürzester Zeit rhetorische Fähigkeiten, die ich mir selbst nicht zugetraut hätte. Beißender Zynismus brodelte in mir, auf alles fiel mir eine bösartige Antwort ein. Einer gab diesem Kind einen Namen, indem er es »Klapperschlangen-Charme« nannte, und dieser eine war der Einzige, der davon verschont blieb: Jimmy, unser Choreograph. Zu ihm knüpfte ich bald seltsame Bande, sie waren wohl auch nur »Ticks«, denn dass er wie die meisten Männer in unserer Kompanie homosexuell war, hatte ich von Anfang an gewusst. Dennoch war ich plötzlich in ihn verliebt, oder besser, ich glaubte, in ihn verliebt zu sein. Es war ein merkwürdiges Gefühl, das frei war von Leidenschaft und Zärtlichkeit, das nur wenige Wochen dauerte und mich trotzdem erfüllte. Jimmy spürte, was ich für ihn empfand. Zwar lag ein Hauch von Mitleid in seinem Blick, wenn er mich ansah, doch er konnte es nicht lassen, mich anzusehen und jedes Lächeln zu erwidern. Fortan schenkte er mir und meiner Arbeit besondere Beachtung.
Dann inszenierte er seinen ersten Ballettabend.
Es war ein Gershwin-Ballettabend, und er bestand aus der Rhapsody in Blue , dem Amerikaner in Paris und dem Konzert für Klavier und Orchester in F-Dur . Als die Proben im Herbst 1975 begannen, tanzten unsere Solistinnen erwartungsgemäß die Hauptrollen. Doch hatte Jimmy ursprünglich Artist werden wollen, und nachdem ein schwerer Unfall diesen Traum zerstört hatte, wollte er seine Zirkus-Fantasien auf choreographischer Ebene ausleben. Das ließen sich die Damen jedoch nicht bieten.
»Nicht mit uns!«, kreischten sie und warfen das berühmte Handtuch. »Such dir andere Idiotinnen, die vom Schnürboden springen und auf wackeligem Podest doppelte Fouettés drehen! Wir sind uns dafür zu schade.«
Eine knappe halbe Stunde später stand Jimmy vor mir in der Garderobe. »Wie ist es, Eva? Ich gebe dir die Hauptrolle in der Rhapsody und im Konzert , zusammen mit Peter Iwanow. Nimmst du an?«
Das war ja überhaupt keine Frage. Ich war außer mir vor Glück, und dieses Glück vermochte nichts zu trüben, nicht einmal die Tatsache, dass Hilary im Amerikaner die Hauptrolle tanzte.
»Es führen eben viele Wege nach Rom!«, erklärte sie mir. »Die eine schafft es mit Fleiß, und die andere …« Sie lachte, und ich stimmte zögernd mit ein. Seit jenem Samstag hatte ich kaum noch Kontakt zu ihr, sie war schließlich ein billiges Flittchen. Trotzdem raffte ich mich auf, wenigstens mit ihr zu lachen, anschließend zogen wir in trauter Eintracht und mit hoch in die Luft gestreckten Näschen in eine Sologarderobe und bekamen sogar eine eigene Garderobiere. Sie hieß Frau Schmidt, sie war eine liebe Frau von fünfzig Jahren, klein, dick und mit einem unserer Pförtner verheiratet. Da sie keine eigenen Kinder hatte, ließ sie ihre Mütterlichkeit an uns aus – und das ließ mich meine wirkliche Mutter nur noch mehr vermissen.
Von Anfang an hatte ich unter der Trennung von meinen Eltern gelitten. Mehr als einmal war ich drauf und dran, einfach nach Hause zu fahren. Doch mein Stolz verbot mir, eine solche Schwäche zu zeigen. Ich hielt durch und fraß den Jammer in mich hinein. Nur mein Herrgott wusste, wie es da drinnen mittlerweile aussah. Deshalb ließ Er wohl schließlich Gnade walten. Wenige Tage vor meinem achtzehnten Geburtstag bekam ich einen Brief von meinen Eltern, das erste Lebenszeichen nach zweieinhalb Jahren. Sie schrieben, dass sie in letzter Zeit viel über mich in der Zeitung gelesen hätten.
»Nicht nur deshalb würden wir uns freuen, wenn Du an Deinem Ehrentag nach Hause kämest.«
Das war durchaus herzlich gemeint, auch wenn es nicht so klang. Denn meine Eltern waren stolz. Sie hatten mich damals aus dem Haus gejagt, um meinen Willen zu brechen, und sie hatten fest damit gerechnet, dass ich nach drei oder vier Wochen reumütig wieder heimkehren würde. Dass das nicht geschehen war, hatten sie wohl nie verstehen können.
Nachdem
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