Zwei Frauen: Roman (German Edition)
Sopranistin alsdann, von Synthesizer-Klängen begleitet, mit einem Astronautenhelm auf dem Kopf um ihr Leben schrie. All das wurde Kunst genannt, und ich hatte mich längst damit abgefunden.
Zwischen zehn und elf Uhr abends war mein Tagewerk dann in der Regel vollbracht. Ich schleppte mich heimwärts, wo Frau Gruber und das Abendessen auf mich warteten, ein zweihundert Gramm schweres Rinderfilet, medium gebraten – jeden Abend gleich –, eine Riesenschüssel grüner Salat – jeden Abend gleich sauer – und eine (!) Praline. Hatte ich das intus, setzte ich zum so genannten Endspurt an. Ich wusch mir die Haare, nahm ein Bad, bearbeitete meinen geschundenen Körper mit Arnikaöl und brachte die Yoga-Atemübungen hinter mich. Dann fiel ich todmüde ins Bett, sprach mein Nachtgebet und löschte das Licht.
Wie hart und wie eintönig dieser Alltag war, kam mir anderthalb Jahre lang gar nicht zu Bewusstsein.
»Stars werden nun mal nicht geboren«, erklärte Frau Gruber mir immer wieder, »Stars werden gemacht!«
So trainierte ich tagaus, tagein, trotz Fieber und trotz Zerrung, und stand noch artig auf meinen Spitzenschuhen, wenn das Blut bereits durch den Satin sickerte.
»Lächeln!«, schrie Frau Gruber dann. »Was wehtut, tut auch gut!«
Wenn ich einmal wagte, Zweifel an dieser Weisheit zu äußern, sagte Frau Gruber: »Pass auf, Eva! Wenn du nicht spurst, bilde ich dich einfach nicht weiter aus. Verstanden?«
Schon als Kind hatte ich das verstanden, und so hatte Frau Gruber mit dieser Drohung auch immer Erfolg. Mit einer einzigen Ausnahme hielt sie mich damit bei der Stange. Zu dieser Ausnahme kam es im Sommer 1975.
Damals war ich siebzehn, und ich tanzte mein erstes Solo, einen Csárdás, im Zigeunerbaron . Das war nichts Überwältigendes, aber es war immerhin ein Anfang, und zu verdanken hatte ich diesen Anfang unserem neuen Choreographen, einem hübschen, kleinen, zarten Amerikaner namens Jimmy Porter. Er mochte mich, und so gab er mir diese Chance – eine Chance, die ungeahnte Konsequenzen hatte. Ich, die ich bisher niemals ausgegangen war oder sonst irgendwie über die Stränge geschlagen hatte, ich veränderte mich plötzlich so sehr, dass Frau Gruber befürchtete, mir wäre »der Ruhm« zu Kopfe gestiegen. Denn von einem Tag auf den anderen sagte ich Ade zu Söckchen und Faltenröcken und stieg um auf Seidenstrümpfe und eng anliegende Kleider. Auch die flachen Sandaletten meiner Mädchenzeit landeten auf dem Müll. Stattdessen zwängte ich mich in hochhackige Pumps. Ich ging in meiner Freizeit aus, ohne zu sagen, wohin, und was für meine Ballettmeisterin das Ärgste war: Ich gab auf einmal Widerworte. So kam es zunehmend zu Streitigkeiten zwischen uns. Wenn ich mich nach einer Vorstellung noch mal für ein Stündchen vor den Fernsehapparat setzte, hieß es gleich: »Nur Bardamen sind derart vergnügungssüchtig, Eva!«
Weigerte ich mich, meine Haare wie früher zusammenzubinden, hieß es, ich sähe aus wie eine Lagerhure. »Aber das scheint dir ja nichts auszumachen, Eva, das gefällt dir vermutlich noch, wie dir dieser Krach gefällt …«
Mit dem »Krach« meinte meine Ballettmeisterin die Musik der Rolling Stones, die ich jetzt öfter hörte.
»Musik nennst du das, Eva! Das ist keine Musik, sondern Körperverletzung. Nur ein pubertäres Monstrum kann seinen Ohren so etwas antun!«
Die gute Frau Gruber war so verzweifelt, dass sie mich beschatten ließ. »Hubs!, sprach der Lachs, da bin ich!«, eignete sich prächtig dazu, weil er äußerlich sehr unauffällig war. Auf Meilen sah man seine ondulierten Haare und seine wallenden, violetten Gewänder, aber nichtsdestotrotz kam er zum Ziel. Davon war er zumindest überzeugt, und Frau Gruber war es auch, denn sie teilte mir eines Tages hoch erhobenen Hauptes mit, dass sie nunmehr alles durchschaut hätte.
Das war an einem Samstag. In der Nacht zuvor hatte ich schlecht geschlafen. Deshalb hatte ich am Morgen im Ballettsaal wohl auch eine ausgesprochen schwache Leistung gezeigt. Frau Gruber behauptete das zumindest. So hatten wir, als wir endlich am Mittagstisch saßen, mehrere handfeste Auseinandersetzungen hinter uns. Es sollte aber noch schlimmer kommen. Während ich mit der Gabel in so genanntem Lauchgemüse herumstocherte – das nichts anderes war als in Wasser abgekochter und nicht gewürzter Porree –, trank meine Ballettmeisterin ein Glas Rotwein nach dem anderen und ließ mich dabei nicht aus den Augen. »Du schläfst in letzter Zeit
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