Zwei Frauen: Roman (German Edition)
Heizkörper, und als ich mich aus dieser misslichen Lage befreien wollte, wusste ich plötzlich nicht mehr, wie ich es anstellen sollte. Ich spürte meinen Körper nicht mehr, ich wusste nicht mehr, ob ich lag oder stand oder saß – also fing ich der Einfachheit halber erst mal an zu schreien.
»Von Anfang an hab ich so etwas geahnt«, schluchzte ich, »diese Bestrahlungen sind schlimmer als die schlimmste Chemotherapie, … sie sind … sie sind … Teufelswerk!«
Natürlich nahm man keines meiner Worte ernst, aber man bemühte sich wenigstens von diesem Augenblick an verstärkt um mich.
Schwester Helma sorgte dafür, dass ich stets so viel frische Luft bekam, dass ich nicht erstickte, mich aber auch nicht erkältete, und das hieß, dass sie alle fünf bis zehn Minuten zu mir hereinkam, um das Fenster zu öffnen respektive wieder zu schließen.
Schwester Gertrud übernahm derweil die undankbare Aufgabe, mich mit Brei zu füttern, was ein Höchstmaß an Fingerfertigkeit verlangte, weil der Wechselgriff vom Teller zur Brechschale gekonnt sein wollte.
Daniela sorgte für mein seelisches Wohlergehen. Lange genug hatte sie nur mit mir reden können, wenn ich mit ihr hatte reden wollen. Jetzt bot sich ihr endlich wieder die Gelegenheit, ihre eigene Willensstärke an mir zu erproben, und deshalb teilte sie mir gleich am ersten Tag meines Leidens mit, dass dieser so genannte Strahlenkoller durchaus auch psychologische Ursachen haben könnte.
»Deine Angst aus dem Bett zu fallen«, erklärte sie mir, »ist in jedem Fall symbolisch. Sie steht für deine grundsätzliche Angst zu fallen, Eva, in ein Loch zu fallen und unterzugehen.«
In der Tat hatte ich eine mörderische Angst, aus dem Bett zu purzeln, weil ich zumeist nicht sicher wusste, ob ich wirklich darin lag. Dennoch knirschte ich so laut mit den Zähnen, als ich die psychologische Deutung vernahm, dass Daniela sich genötigt sah, Wiedergutmachung zu leisten: Sie ließ ein Gitter an meinem Bett anbringen, das ich fortan so fest umklammerte, dass die Metallstangen erbebten.
Daniela seufzte. »Auch so ein symbolisches Verhalten«, meinte sie, »Eva, Eva …!«
Als ich das Schlimmste überstanden hatte, war ich so schwach, dass ich wieder einen Rollstuhl brauchte. Ich wehrte mich mit Händen und Füßen, doch ich war einfach nicht in der Lage, mich auch nur vom Bett bis zur Toilette zu schleppen, und so blieb mir gar nichts anderes übrig, als mein Schicksal und damit auch das metallene Ungetüm anzunehmen.
Eine wirkliche Hilfe war mir das auch nicht. Meine spindeldürren und kraftlosen Ärmchen taten sich schwer, die großen Räder zu bewegen, und deshalb beschränkten sich meine Ausflüge auf die Wege zur Toilette und zur Besucherecke auf den Gang hinaus. Da saß ich dann vor dem Panoramafenster, blickte hinunter auf den Park und machte das, was Claudia »lange Zähnkes« genannt hatte. Zu gern hätte ich da unten in einer der Lauben in der frischen Luft gesessen. Wir hatten schließlich September, und ich liebte diesen Monat.
In den nächsten Wochen schob Frau Helma mich in meinem Rollstuhl des Öfteren in den Park hinaus. Ich wunderte mich, dass sie mir plötzlich Einblick in ihr Seelenleben gewährte und mir erzählte, wie sich ihr Verlobter vor einem halben Jahr das Leben genommen hatte. Ich musste an mich halten, dass ich nicht laut brüllte vor Lachen, wie es Claudia an meiner Stelle bestimmt getan hätte.
Dann aber merkte ich, dass ich für Schwester Helma
nur ein Alibi war. Im Park begegnete sie nämlich immer einem Inder, einem jungen Arzt, in den sich aber auch Schwester Gertrud verliebt hatte und noch so manche andere Frau …
KAPITEL 29
Es war im November 1977, als Professor Mennert mich eines Abends besuchte. Er wirkte sehr angespannt, als er mich um eine Unterredung bat.
»Und worüber?«, fragte ich.
»Wir haben die Ergebnisse Ihrer Kontrolluntersuchungen letzte Woche bekommen, und sie sind alle ohne Befund, das Kobalt hat Ihnen also tatsächlich genützt …«
»Ach ja?« Damit hatte ich gerechnet. In den letzten Wochen hatte sich meine körperliche Verfassung zu sehr verbessert, als dass es anders hätte sein können. Ich brauchte auch keinen Rollstuhl mehr.
»Wenn das so ist«, fuhr Mennert fort. »Ich habe Ihre Akte in den vergangenen Tagen gedreht und gewendet, zusammen mit ein paar Kollegen. Und wir sind zu dem Schluss gekommen, … wir könnten operieren.«
»Wir könnten operieren!«
Die lang ersehnte Operation! Das Leben
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