Zwei Frauen: Roman (German Edition)
reichte mir die Hand, ich brauchte nur noch zuzugreifen. Doch dann wachte ich auf.
»Wir könnten operieren?«
»Ja«, seufzte er, »ich sagte, wir könnten operieren, und nicht, wir können, weil es nämlich äußerst gefährlich wäre, und zwar …«
Er hielt mir einen langen Vortrag über mein Herz und über meinen Kreislauf. Beide wären wegen der vielen Totalanästhesien in der Vergangenheit, und vor allem wegen der Chemotherapie, sehr geschwächt, was bedeuten würde, dass man im Fall einer Operation mit der Narkose sehr vorsichtig sein müsste.
»Ginge das denn?«
Er nickte. »Wir könnten die Dosis so niedrig wie möglich halten und mit Lokalanästhesien arbeiten. Das würde die Operation zeitlich in die Länge treiben, aber die Spezialisten hielten dieses Risiko für kleiner als das andere.«
»Dann ist doch alles in bester Ordnung.«
Mennert sah mich skeptisch an. »Zeitlich in die Länge treiben«, sagte er, »hieße, mindestens sechs bis sieben Stunden, und auch das ist nur eine Schätzung.«
»Und?«
»Sechs bis sieben Stunden würden ein Chirurg, ein Urologe, ein Gynäkologe und ein Darmspezialist in Ihren Innereien herumwühlen, Eva, wer weiß wie viel wegschneiden und abschneiden …«
»Und?«
»Es würde Tage dauern, bis sich Ihr Innenleben wieder beruhigt hat, und wegen der bekannten Herz- und Kreislaufschwäche würden Sie kaum Schmerzmittel bekommen.«
»Und?«
»Neben allem anderen birgt eine so lange, wenn auch noch so leichte Vollnarkose unvorhersehbare Gefahren, sagen Sie also bitte nicht noch einmal ›Und?‹, Eva, diese Operation könnte Sie nämlich das Leben kosten!«
Ich lächelte. »… Und? – Ohne Operation kostet es mich doch mit Sicherheit das Leben!«
Der Professor atmete schwer. »Nicht unbedingt!«, teilte er mir dann mit. »Ihre Krankheit ist unter Kontrolle. Für den Augenblick geht es Ihnen so gut, dass sie diese Klinik verlassen könnten.«
Das hatte ich nicht gewusst …
»Für wie lange?«, flüsterte ich.
»Für ein Jahr. Oder zwei.«
… das hatte ich geahnt.
»Und mit der Operation?«
Er fuhr sich mit den Händen durch sein weißes Haar, nahm die Brille ab, fing an seine Augen zu reiben – sie waren rot und entzündet. Das kam wohl von zu vielen Zigaretten und von zu wenig Schlaf, und er konnte froh sein, dass sein Arzt das nicht sah, denn der hätte ihn glatt für sechs Wochen in eine Erholungskur geschickt.
»Schauen Sie, Eva, ich kann Ihnen keinen Rat geben, da liegt das Problem. Wenn ich selbst Krebs hätte, wäre das einfacher, aber so … Sie wissen, dass ich die Tumoren gern mit Bomben vergleiche, also: Mir würde es nicht gefallen, mit vier Bomben in der Tasche durch das Leben zu laufen. Von daher würde ich sagen: operieren! Wenn wir aber versuchen, die Bomben zu entschärfen, könnten sie dabei hochgehen, und der Gedanke gefällt mir auch nicht, folglich wäre ich geneigt, zu sagen: nicht operieren! –Was soll ich Ihnen also sagen?«
Er stieß einen unüberhörbaren Seufzer aus, setzte die Brille wieder auf und sah mich an, als läge die Antwort auf all die Fragen vielleicht im Schwarz meiner Pupillen verborgen. Dann tätschelte er meine Hand, wie er es immer tat, wenn er mit seiner Weisheit am Ende war.
»Überlegen Sie es sich in aller Ruhe, Eva! Am kommenden Montag brauche ich Bescheid. Bis dahin sollten Sie das Für und Wider sorgsam abwägen. – Einverstanden?«
»Einverstanden!« Ich hatte ja keine andere Wahl.
Damit begann »das große Denken«, eine Zeit, an die ich mich später nur noch sehr ungern erinnerte. Die Euphorie des ersten Moments, da ich sofort bereit gewesen wäre, mich für die Operation zu entscheiden, ließ nämlich sehr schnell nach, und bald erfasste mich ein fast unheimlicher Hang zur Bequemlichkeit. Der Gedanke, es mir einmal im Leben einfach zu machen, faszinierte mich immer mehr.
»Im Augenblick«, hatte Mennert gesagt, »geht es Ihnen so gut, dass Sie diese Klinik verlassen könnten.« Schon sah ich mich über den Broadway schlendern …
»Für wie lange, Herr Professor?«
»Für ein Jahr oder zwei!«
… und schon sah ich an der Ecke zur 42. Straße einen Notarztwagen stehen.
»Besser als ein Leichenwagen vor dem Hintereingang des Operationssaals!«, dachte ich mir, um gleich im nächsten Moment zu erkennen, dass das Ziel des New Yorker Krankenwagens ja auch nur die Leichenhalle war.
»Aber erst in zwei Jahren!«, rief meine innere Stimme.
»Oder schon in einem!«, meinte ihr Echo, das immer
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