Zwei Frauen: Roman (German Edition)
so gern alles verfälschte.
»Was soll ich also tun?«
»Tun, tun, tun!«, klang es diesmal zurück – aber wiederholen konnte ich selbst! Was ich brauchte, war eine klare und präzise Antwort. Aber die wollte mir weder meine innere Stimme noch deren Echo geben, und auch in meiner Umgebung hielt man sich bedeckt.
»Es hängt viel davon ab«, hieß es da nur. »Aber du bist eine erwachsene Frau und musst selbst wissen, was du tust!«
Diese goldige Ansicht vertraten meine Großmutter, Schwester Helma und Schwester Gertrud, ja, sogar meine Eltern räumten mir ausnahmsweise völlige Entscheidungsfreiheit ein. Zähneknirschend nahm ich es zur Kenntnis.
»Ihr könntet wenigstens sagen, was ihr tätet, wenn ihr an meiner Stelle wäret!«, knurrte ich.
»Wir sind aber nicht an deiner Stelle!«, erklärten sie mir daraufhin.
Ich musste also zusehen, wie ich allein mit meinem Problem fertig wurde.
Zwei Tage ließ ich mir das bieten, dann beschloss ich, mir den »Todesstoß« versetzen zu lassen.
Wenn man mir schon nicht umgehend mit Rat und Tat zur Seite stand, so wollte ich doch zumindest sicher sein, dass mir dann auch wirklich niemand mit Rat und Tat zur Seite stand, denn nur dann lag in der Pein noch ein gewisser Genuss.
Also machte ich mich wutentbrannt auf den Weg zu Daniela, stieß die Tür zu ihrem Büro auf, stellte mich vor ihren Schreibtisch:
»Okay, mach es kurz. Ob OP oder nicht, ist allein mein Bier!«
Daniela schmunzelte. »Setz dich, Eva!«
Damit war schon alles klar. Nicht einmal ein formvollendetes Harakiri gönnte man mir. Erschöpft ließ ich mich in die Sitzlandschaft sinken. »So eine Scheiße!«, fluchte ich leise vor mich hin.
»Was?« Daniela schloss die Tür, die ich stilvollerweise offen gelassen hatte. »Was ist Scheiße?«
»Dass mich einer nach dem anderen im Regen stehen lässt, bloß weil niemand Verantwortung übernehmen will.«
»Willst du es denn? Willst du Verantwortung übernehmen, Eva? Für dich und dein Leben?«
Ich schluckte. Von dieser Seite hatte ich mein Problem noch nicht betrachtet.
Das war ein schweres Versäumnis. Trotzig verschränkte ich die Arme vor meiner Brust, verknotete meine Beine – und statt mein Problem jetzt von dieser, meiner Seite zu betrachten, ärgerte ich mich nur, es nicht schon eher getan zu haben.
Derweil setzte Daniela sich zu mir. »Weißt du«, hob sie an, »es gibt da eine Geschichte von einem Mann, der durch einen Unfall erblindete. Jahrelang wünschte er sich nichts sehnlicher, als wieder sehen zu können. Eine Kapazität von Augenchirurg erklärte sich bereit, ihn zu operieren. Es war eine gefährliche Operation, der Mann hätte dabei sterben können … er hatte aber Glück. Er überlebte, wurde wieder ganz gesund, nur … die Welt, die er sah, sah er plötzlich mit ganz anderen Augen, und deshalb wünscht er sich noch heute, … wieder blind zu sein.«
Hilflos starrte ich auf den Teppich. Es lagen ein paar Flusen darauf, hier musste unbedingt mal wieder ordentlich staubgesaugt werden.
Dann entknotete ich meine Beine, legte meine Hände in den Schoß, schaute Daniela ungläubig an.
Sie lächelte. »Der Mann ist das Risiko zu sterben eingegangen, Eva … mit dem anderen, dem viel größeren Risiko ist er nicht fertig geworden …«
»Mit welchem?«, flüsterte ich.
»Ein Behinderter zu sein bietet nicht nur Nachteile, Eva, sondern auch Vorteile. Man ist etwas Besonderes, man hat immer die Möglichkeit, Fehlschläge auf das Konto der Behinderung zu verbuchen. Man kann sich immer einreden, dass sie der Grund für alles Unglück ist. Man braucht nicht zu tun, was man nicht will, weil man immer behaupten kann, dass man es nicht kann. Das heißt also …«
»Was?«
Daniela sah mich ruhig an. »Dass man es sich genau überlegen sollte, welchen Weg man gehen will. Oft ist der Spatz in der Hand sicherer und vor allem bequemer als die Taube auf dem Dach!«
»Der Spatz in der Hand?«, wiederholte ich fassungslos.
»Ja, Eva, wenn du jetzt gehst, hast du den Spatz in der Hand. Lässt du dich operieren, hoffst du auf die Taube auf dem Dach.«
»Und?«
»Einen Rat kann ich dir nicht geben, ich kann dir nur meine Meinung sagen.«
»Und wie ist die?«
Daniela atmete tief durch. »Wenn ich an deiner Stelle wäre …«, sagte sie dann.
»Ja?«
»… würde ich mich für die Operation entscheiden!«
Für diese Offenheit hätte ich sie küssen können. Endlich hatte mal jemand den Mut, Stellung zu beziehen. Meine Dankbarkeit war
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