Zwei Frauen: Roman (German Edition)
stemmte. »Wie war es denn nun? Wie die rasende Fahrt einer Achterbahn oder wie ein Sturzflug bei schlechten Witterungsbedingungen?«
»… Wie bitte?« Ich wusste gar nicht, wovon er sprach.
»Aber, Eva! Sie haben doch vor der Operation lang und breit erklärt –«
»Ach so!« Jetzt erinnerte ich mich. Knapp fünf Wochen war es her, dass ich mit so etwas wie Lustgefühl an meine Operation gedacht und diese mit Kirmes und Luftfahrt verglichen hatte. Es kam mir so vor, als wäre seit damals ein ganzes Menschenleben vergangen.
Ich wischte mir die Tränen vom Gesicht. »Ach ja, Herr Professor, … ich muss verrückt gewesen sein …«
Mennert lächelte. Dann setzte er sich auf Claudias Bett und sah mich an.
»Sind Sie glücklich, Eva?«
Sofort kamen mir wieder die Tränen, aber diesmal hielt ich sie tapfer zurück. Ich wusste nicht, ob ich glücklich war. Im Grunde wusste ich nicht einmal mehr, ob ich überhaupt »war«. Alles schien auf einmal so kompliziert zu sein, mein Leben … ich selbst …
Mennert lächelte nur noch mehr, als ich das äußerte.
»Wissen Sie«, sagte er dann, »Menschen brauchen Ziele, Eva, und Sie haben Ihr Ziel erreicht. Sie haben geschafft, was Sie immer schaffen wollten, und deshalb erscheint Ihnen jetzt alles so kompliziert. Dabei ist es ganz einfach, Eva: … Sie brauchen neue Ziele!«
Damit war mein weiteres Schicksal besiegelt. Von Stund an erschienen Tag für Tag Verwandte, Bekannte, Freunde und solche, die sich dafür hielten, um das Wunderkind zu »bestaunen«. Das hieß, dass sie zunächst dramatisch seufzend die Hände rangen oder aber euphorisch jauchzend in dieselben klatschten und dabei so geistreiche Dinge von sich gaben wie »Meine Güte!« und »Oh, mein Gott!« Bereits im nächsten Moment verfinsterten sich aber ihre Mienen, und man nahm mich genauer in Augenschein. »Meine Güte, siehst du blass aus!«, meinten dann die einen, und andere riefen aus: »Oh, mein Gott, du bist ja noch viel dünner als vor der Operation!«
Diese Leute konnten nicht nachvollziehen, was ich hinter mir hatte, und überdies wollten sie es wohl auch gar nicht nachvollziehen, denn wenn ich davon erzählte, verkniffen sie nur jedes Mal ihre Gesichter und schüttelten mitleidig die Köpfe, und dann meinten sie: »Trotzdem!« oder »Na ja, so kann es aber doch nicht weitergehen!«
Da ich mir nicht erklären konnte, was für einen Grund und was für einen Zweck dieses Verhalten haben konnte, hielt ich es einfach nur für dumm. Überheblich, wie ich war, ließ ich mir alles bieten, und die Krönung bot mir – wie hätte es anders sein können – meine liebe Großmutter. Eines schönen Nachmittags baute sie sich vor mir auf, um sich maßlos darüber zu empören, dass ich überhaupt noch im Bett lag.
»Jetzt haben sie dich doch operiert, Eva. Warum bist du denn dann immer noch krank? – Als man mir damals die Gallenblase herausgenommen hat, da war ich zehn Tage später schon wieder voll im Einsatz.«
Wenig später blies mein Vater ins gleiche Horn. Wohlwollend betrachtete er mein geschminktes Gesicht und mein Lächeln, sah mir dabei zu, wie ich Vollkornkekse knabberte, und dann, dann formulierte er jene für mich so verhängnisvolle Frage: »Nun, Eva, wie stellst du dir denn eigentlich deine Zukunft vor?«
Ich war so perplex, als ich das vernahm, dass mir ein grundehrliches »Noch gar nicht!« entfuhr, was meinen Vater zutiefst enttäuschte. »Du musst aber doch irgendetwas tun, wenn du hier herauskommst!«, fuhr er mich an.
»Was?«
»Das will ich ja gerade von dir wissen!«
»Aber … daran ist jetzt aber doch noch gar nicht zu denken!«
Das sah mein Vater anders. »In ein paar Monaten bist du wieder völlig gesund«, erklärte er mir, »und dann bildest du dir doch wohl hoffentlich nicht ein, dass du als ehemalige Ballerina mit trauriger Krankengeschichte für den Rest deines Lebens Hof halten wirst? Nein, nein, nein, mein Kind! Das schlag dir aus dem Kopf, das kommt nicht infrage! Du wirst einen anständigen Beruf erlernen und dir deine Brötchen hübsch selbst verdienen!«
Die Dose mit den Vollkornkeksen ging krachend zu Boden, ich redete mir ein, das müsste ein Traum sein, ein ganz, ganz übler Traum! Dieser Mann wollte wissen, was ich werden wollte, zu einem Zeitpunkt, da ich eigentlich erst mal gesund werden wollte!
»Nun erlaube aber mal!«, schimpfte mein Vater, als ich das äußerte. »Das mit dem Gesundwerden, das erledigt sich jetzt ja wohl von allein. – Wie wäre es
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