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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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Vorwarnung ins Gesicht. »Eva! Ich bin Pfarrer Lossmann!«
    Ich erschrak so sehr, dass ich zusammenzuckte, und damit war mein Schicksal besiegelt. Ich musste mich dem unerwünschten Besucher stellen. Langsam öffnete ich die Augen und sah Lossmanns Gesicht dicht neben dem meinen.
    »Sie wissen, warum ich hier bin?«, fragte er mit dumpfer Trauerstimme.
    Natürlich wusste ich es. Immer wenn ein Menschenleben zu Ende ging, waren Lossmann oder sein katholischer Kollege zur Stelle. Ich nickte.
    »Möchten Sie, dass ich ein Gebet für Sie spreche?«, wollte er daraufhin wissen.
    »Nein!«
    Dieses Nein schoss nur so aus mir heraus; ich blickte geradewegs in eine teilnahmslose Miene.
    »Haben Sie denn den Wunsch, ein Gebet zu sprechen?«
    »Nein!«
    Lossmanns Augen brannten wie Feuer. Sie sprühten vor Hass, und ich glaubte, deutlich darin zu lesen, dass er mich in diesem Augenblick zu ewigem Fegefeuer verdammte. Dennoch klang seine Stimme unverändert sanft und monoton.
    »Möchten Sie, dass ich gehe?«, erkundigte er sich.
    »Ja.«
    Er kniff die Augen zusammen, und im gleichen Moment war mir, als bestünde Lossmann plötzlich nur noch aus seinem Mund, der zu einem riesigen, speicheltriefenden Loch wurde, das alles zu verschlingen drohte.
    »Mein Kind«, spie es aus, »Sie sollten nicht unvorbereitet vor Ihren Schöpfer treten. Zürnen Sie nicht mit Gott, der Ihnen ein so schweres Schicksal auferlegt hat. Denken Sie immer daran: Wen Gott liebt, den lässt Er leiden! «
    Das war der Augenblick, da sich alles in mir in Kraft wandelte. Der Schmerz, die Angst und die Enttäuschung, die Machtlosigkeit und die Unrast, sie wandelten sich in unendliche Kraft. Ich griff mit der Hand nach der metallenen Stange des Infusionsständers und zog mich daran hoch, ohne Lossmann aus den Augen zu lassen.
    »Wen Gott liebt, den lässt Er leiden!«
    Wie konnte dieser Mann es wagen, Gott so etwas zu unterstellen?! Wie konnte dieser mickerige Phrasendrescher so tun, als würde er Gottes Gewohnheiten kennen?! Woher nahm dieser Wicht die Selbstherrlichkeit?
    »Wen Gott liebt, den lässt Er leiden!«
    Immer weiter richtete ich mich auf, immer fester umklammerte ich den Infusionsständer, ruckte daran, hörte meine Mutter schreien, meinen Vater schimpfen, Lossmann stöhnen und schaffte trotzdem, was ich mir vorgenommen hatte, schaffte es zumindest beinahe: Die Flasche mit der Kochsalzinfusion fiel aus der Halterung, und es fehlte nur wenig, und sie wäre auf den Himmelskomiker von Gottes Gnaden, Pfarrer Harold Lossmann, niedergegangen. Meine Mutter verhinderte es im letzten Moment, wurde leichenblass, der gute Herr Pastor stieß endlich einmal ein von Herzen kommendes »Um Gottes willen!« aus, und mein Vater, der lachte. Er lachte aus vollem Halse und meinte: »Die stirbt nicht! Die zeigt es uns allen! Nein, meine Tochter stirbt nicht!«



KAPITEL 31
    Mein Vater sollte Recht behalten: Ich starb nicht, ich zeigte es ihnen allen. Ich überlebte das wohl größte Abenteuer meines Lebens, besiegte den Tod, den Krebs und mich selbst, erreichte ein Ziel, von dem ich nahezu zwei Jahre lang Tag und Nacht geträumt hatte, und darüber hätte ich mich nun eigentlich freuen müssen. Dazu fühlte ich mich innerlich aber wohl viel zu zerrissen. Die Angst vor der Zukunft war wieder einmal größer als die Erleichterung über das Vergangene, und diese widerstrebenden Kräfte lösten einen verzehrenden Weltschmerz in mir aus, der mich so sehr in Anspruch nahm, dass ich ansonsten wahrnehmungsunfähig war.
    Neun lange Tage und zehn lange Nächte verbrachte ich auf der Intensivstation, doch konnte ich mich später kaum an diese Zeit erinnern. Alles zog an mir vorüber. Ich sah in die Gesichter derer, die mich betreuten, aber ich hätte im Nachhinein keines dieser Gesichter wiedererkennen können, ich sah wohl nie richtig hin. Ich hörte, wenn man etwas zu mir sagte, aber ich hätte keines dieser Worte wiedergeben können, ich hörte wohl auch nie richtig zu. Empfinden konnte ich erst recht nichts. Ich spürte zwar, wenn die jungen Männer kamen, die es auch diesmal nicht lassen konnten, mit ihren Lappen an mir herumzuwaschen, aber es demütigte mich nicht mehr, dass sie es taten. Zu viel war geschehen, ich war nicht mehr zu demütigen. Zu viel hatte ich ertragen müssen, mir war auch nicht mehr wehzutun.
    Das konnten vor allem die hübschen Mädchen nicht begreifen, die es ebenfalls noch gab. Wenn sie kamen, um mit ihren Messerchen in mein Ohrläppchen zu schneiden,

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