Zwei Frauen: Roman (German Edition)
denn, wenn du Fremdsprachen studieren würdest?«
»Fremdsprachen?«, wiederholte ich stotternd, weil ich hoffte, mich vielleicht verhört zu haben.
»Natürlich Fremdsprachen!«, bollerte mein Vater sofort. »Oder willst du bei deiner Veranlagung etwa Mathematik studieren? Du kannst ja kaum addieren!«
Angesichts dieser Unverschämtheit konnte ich nur noch schlucken. Da hatte es in zehn langen Schuljahren nur ein einziges Fach gegeben, in dem ich schon mal schlechte Noten geschrieben hatte, und das schien Familie Martin bis heute noch nicht verwunden zu haben. Verzweiflung machte sich in mir breit. Hätte ich es doch nur darauf ankommen lassen! Hätte ich doch bloß nicht »funktioniert«!
»Na?«, riss mich mein Vater aus meinen Gedanken; dabei strahlte er mich an, und da ich keinen Fehler machen wollte, strahlte ich zurück – und das hätte ich besser nicht getan.
»Also Fremdsprachen!«, jubelte er nämlich daraufhin. »Wusste ich es doch!«
Damit war die Angelegenheit für ihn erst mal erledigt, und er war sichtlich stolz darauf, mich »hereingelegt« zu haben. Dessen war er sich nämlich ganz sicher. Mir selbst erging es im ersten Moment nicht anders. Ich war ebenfalls felsenfest davon überzeugt, dass er mich übertölpelt hatte. Doch dann erinnerte ich mich, dass man zum Walzertanzen ja immer einen Partner brauchte, und das galt auch für meinen Vater. Er hatte mich bisher aber nur aufgefordert, und deshalb konnte ich ihm noch jederzeit einen Korb geben …
Fasziniert von dieser Vorstellung dachte ich fortan Stunde um Stunde darüber nach, wie ich das wohl am wirkungsvollsten anstellen konnte. Ich könnte mit Selbstmord drohen, falls man mich in ein Büro abschieben wollte, ich zog Alkoholismus und Drogensucht in Betracht. Ich dachte aber auch ans Auswandern und suchte mir vorsorglich schon mal ein geeignetes Ziel, einen Ort namens Oamaru, idyllisch gelegen zwischen Timaru und Port Chalmers im Südosten Neuseelands – je weiter weg, desto sicherer.
Währenddessen setzte sich Daniela in rührender Weise für mich ein. Sie versuchte mit meinen Eltern in Ruhe über alles zu reden. Beim ersten Mal hatte mein Vater keine Zeit, beim zweiten Mal hatte meine Mutter keine Lust – was sie jedoch Unwohlsein nannte –, und beim dritten Mal hatten die beiden den anberaumten Gesprächstermin angeblich vergessen. Daraufhin war mein Fräulein Analytikerin dermaßen entrüstet, dass sie keine Mühe scheute, meinen Eltern diese Entrüstung zur Schau zu stellen.
Eines Nachmittags erschien Daniela zu völlig ungewohnter Stunde in meinem Zimmer und traf meine Eltern an. »Über Sie kann ich mich nur wundern!«, erklärte sie.
»Über uns??«, klang es unschuldig zurück, und das, obwohl beide, mein Vater wie meine Mutter, genau wussten, worum es ging.
»Jawohl! Ich mache Sie aber auch gern noch einmal darauf aufmerksam, dass …«
Es folgte ein Monolog über die drei friedlichen Versuche, mit Herrn und Frau Martin ins Gespräch zu kommen, und anschließend wurde kundgetan, dass es hier ja ausschließlich um Eva ginge, um Eva und ihr Wohlergehen.
»Und Eva hat eine viel zu schwere Zeit hinter sich, als dass man sie jetzt schon mit ihrer Zukunft belasten dürfte.«
»Aber das tut doch auch keiner!«, meinte mein Vater und pries insgeheim sicher einmal mehr Kurt Tucholsky, der erklärt hatte, dass man es als intelligenter Mensch einfacher hatte im Leben, weil man sich dumm stellen konnte – was umgekehrt schon schwieriger war.
Daniela ließ sich jedoch nicht bluffen. »Ach nein?«, vergewisserte sie sich.
»Nichts liegt uns ferner, als Eva unglücklich zu machen«, mischte meine Mutter sich ein, »das sollten Sie eigentlich wissen, Fräulein Römer. – Aber mein Mann verlangt nun mal von ihr, dass sie einen Beruf ergreift.«
»Und was verlangen Sie, Frau Martin?«
Meine Mutter stutzte einen Moment, gab dann aber doch mehr oder minder bereitwillig Auskunft. »Nun«, hob sie zögernd an. »Eva ist schließlich nicht irgendwer … ich finde auch, dass sie ein paar Fremdsprachen beherrschen sollte …«
»Und warum finden Sie das?«
»Weil es nichts Schrecklicheres gibt als eine Frau mit einem dicken Bankkonto, die nichts im Hirn hat!«, antwortete mein Vater.
»Sie hatte ich nicht gefragt, Herr Martin!«
Daniela kam sich großartig vor, das war ihr anzusehen. Mein Vater hatte jedoch für sie nur ein mitleidiges Lächeln übrig, das so viel hieß wie: Nur wenige Menschen hatten eine gute Kinderstube – bei
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