Zwei Frauen: Roman (German Edition)
ohne Hintergedanken äußerte. Doch nachdem ich mich hingesetzt und die Arbeit in Angriff genommen hatte, schwand mein Misstrauen. Der Grund dafür war simpel: Es machte mir Freude, mich auf dem weißen Papier auszulassen, mehr noch, es war fast schon so etwas wie der Genuss einer Droge. Eine »Wunschliste« lag schon, früher angefertigt, neben mir auf dem Nachttisch, als ich anfing zu schreiben. – Ich schrieb, bis ich glaubte, gleich den Verstand zu verlieren, weil die Sehnsucht nach der Erfüllung meiner Träume größer wurde mit jedem Wort, das ich benutzte, um diese Träume niederzuschreiben. Bald schon waren sie wie Geister, die man rief, aber nicht mehr loswerden konnte. Sie tauchten empor aus dem Nebel meiner Fantasie und betäubten meine Sinne, indem sie mir vorgaukelten, dass ich sie nur auf das Papier zu bannen brauchte, um sie zu wirklichem Leben zu erwecken.
Ich wusste, dass das eine Lüge war, doch betörte mich der Selbstbetrug zu sehr, als dass ich aufhören hätte können. Zwei Tage und zwei Nächte dauerte dieses Spiel, und als es endlich vorüber war, hatte ich an die dreißig Seiten voll geschrieben. Das hielt ich für zu lang, und so begann ich zu kürzen. Doch sobald ich eine Sache wegstrich, kamen dafür zwei neue Sachen hinzu, und das wäre vermutlich noch wochenlang so weitergegangen, wenn ich mich nicht eines Abends aufgerafft und das ganze Werk vernichtet hätte. Das war an dem Abend, an dem ich zuerst den Apfel gegessen, dann das Glas Wasser getrunken und mich schließlich übergeben hatte. Irgendwie wurde mir dadurch wohl klar, dass man es nicht übertreiben sollte, weder mit Essen und Trinken noch mit der Ehrlichkeit. Ich konnte mir schließlich ausrechnen, was auf mich zukommen würde, wenn Daniela erfuhr, dass ich den »Oscar« haben wollte.
»Um Schauspielerin zu werden, musst du eine Schauspielschule besuchen, Eva, und um auf einer Schauspielschule überhaupt zur Aufnahmeprüfung zugelassen zu werden, brauchst du ein Gesundheitszeugnis. Was glaubst du? Dass man ein Mädchen, das Krebs hat, die ›Minna von Barnhelm‹ spielen lässt?«
Genau das würde sie sagen, die gute Daniela, und deshalb tat ich gut daran, diesen Berufswunsch zu verklausulieren, damit sie ihn mir nicht zerstören konnte.
Das Gleiche galt für Jan Reinders. Erfuhr Daniela, dass ich ihn gern heiraten würde, fragte sie sicher sofort, ob er das denn wohl auch schon wüsste.
»Wenn du nicht einmal in der Lage bist, ihm zu sagen, dass du ihn liebst, Eva … wie willst du da in der Lage sein, mit ihm zu leben?«
Mir war rätselhaft, was ich auf so etwas antworten sollte, und deshalb musste ich mich hüten, solche Fragen zu provozieren. Ich musste meine Zukunftspläne allgemein halten, von meinen wirklich großen Plänen ablenken und die kleinen Pläne aufbauschen … Also warf ich die dreißig Seiten Hoffnung weg und fing noch einmal von vorne an, mit dem Erfolg, dass die Sprache diesmal weitaus weniger schmalzig und blumenreich und das ganze Œuvre achtundzwanzig Seiten kürzer geriet.
»Von Anfang an hätte ich das so machen sollen«, knurrte ich, als ich Daniela die Blätter schließlich überreichte. »Damit hätte ich mir viel Arbeit erspart.«
»Aber nein«, erwiderte sie amüsiert. Sie wusste schließlich nicht, was ich weggestrichen und warum ich mich damit so schwer getan hatte.
»Das wäre nämlich wider deine Natur, Eva! Warum solltest du es dir einmal im Leben leicht machen, wenn es auch schwierig geht?«
Ich grinste. Weniger Worte konnte man wohl nicht benutzen, um meinen Charakter zu beschreiben.
Während Daniela nun las, was ich geschrieben hatte, trat ich ans Fenster und blickte hinaus. Es war der 7. März 1978. Schon oft hatte ich in den vergangenen zwei Jahren so dagestanden, aber nur ein einziges Mal in diesen zwei Jahren hatte mich dieser Blick über den Stadtpark ähnlich berührt. Ganz zu Anfang meiner Zeit in dieser Klinik war das gewesen, unmittelbar vor meinem Zusammenbruch. Genau wie damals war auch heute der Himmel wolkenlos, der Wind spielte in den winterkahlen Baumkronen, und unten auf der Wiese neben dem Teich tollten ein paar Kinder.
Damals war mir dieses Bild zum Greifen nahe und dennoch unerreichbar erschienen. Heute empfand ich mich selbst als einen Teil dieses Bildes. Ich gehörte dazu, obwohl die Welt da draußen nicht die Welt war, in der ich hier drinnen lebte, denn es kam mir auf einmal so vor, als hätte ich in den vierundzwanzig langen Monaten hier nicht nur viel
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