Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
Vom Netzwerk:
plötzlich etwas Konkretes. Mein Blutbild konnte schlecht sein, der Befund der Endoskopie konnte positiv sein, bei der Lymphographie konnte man Metastasen entdeckt haben … der Schneeball wurde zur Lawine, und sie kam direkt auf mich zu, gewaltig und gnadenlos.
    Professor Mennert setzte sich auf mein Bett, ich hätte bloß die Hand auszustrecken brauchen, um ihn zu berühren. Er setzte sich auf mein Bett, aber er sah mich nicht an, vielmehr sah er an mir vorbei aus dem Fenster hinaus. Draußen war es noch hell, aber ein waches Auge konnte bereits die nahende Dunkelheit in dem Licht erahnen. Am liebsten hätte ich laut geschrien, und dass ich es nicht tat, hatte nur einen einzigen Grund: Ich erinnerte mich, dass ich mich schon einmal einem Gefühl hingegeben und damit ein anderes versäumt hatte. Damals war es Zorn gewesen, der mich daran gehindert hatte, Freude zu empfinden. Wenn ich mich diesmal nun aus Angst um ein bewusstes Erleben des Augenblicks betrog, war mir meines Erachtens nicht mehr zu helfen, dann hatte ich es wirklich nicht besser verdient in meinem Leben, als ich es angetroffen hatte. Also nahm ich mich zusammen, so schwer es auch fiel. Ich wagte mal wieder kaum zu atmen, ich tat es nur ganz vorsichtig, nur mit dem Bauch. An meiner Brust konnte man das sachte Heben und Senken kaum erkennen, an meinen Schultern gar nicht, und so sollte es auch sein. Ich wollte sein wie eine Mauer. Mennert spürte das wohl, denn plötzlich sah er mich an, und er lächelte sogar.
    »Vor zwei Jahren habe ich schon einmal so an Ihrem Bett gesessen«, sagte er mit leiser Stimme, »und damals …«
    Er sprach nicht weiter, aber ein fremder Ausdruck lag auf seinem Gesicht, ein fremder Glanz lag in seinen Augen.
    »So etwas kommt so selten vor …«, fuhr er schließlich fort, »… viel zu selten … und wenn es dann mal geschieht, dann sitzt so ein Mann wie ich … da sitzt man dann da und …«
    Wieder lächelte er. »Kommen Sie, Eva, machen wir es heute genau wie vor zwei Jahren. Ich nehme Ihre Hand, Sie schauen mich an …«
    Ich war völlig verwirrt. Ich wusste nicht, was ich von alldem halten sollte, und ich war geneigt, auf eine freudige Mitteilung zu hoffen, fürchtete mich aber vor einer voreiligen Hoffnung. Zögernd schob ich meine Hand in die seine, sah ihm tief in diese noch immer so fremd glänzenden Augen.
    »Wir haben heute Mittag Ihre restlichen Befunde bekommen«, sagte er dann, »und die sind allesamt negativ. Ihre Laborwerte sind so gut, wie sie nur sein können, und organisch scheint auch alles in bester Ordnung zu sein. Deshalb … Ihr endgültiger Entlassungstermin ist der 2. Mai …«
    Ich spürte ganz deutlich, wie sehr ihn das berührte, und deshalb war es mir unmöglich, selbst auch noch so etwas wie Rührung zu empfinden. Er nahm mir dieses Gefühl ab, vielleicht nahm er es mir sogar weg, es war das, was ich erst kürzlich gegenüber Herrn Doktor Behringer angedeutet hatte: »Jede Statue hat ihren Meister, denjenigen, der sie geschaffen hat.« In diesem Fall war Professor Mennert mein Meister, und bis er das bemerkte, verstrich geraume Zeit, Zeit, die er dazu nutzte, mich anzusehen, in mich hineinzusehen, durch mich hindurchzusehen. Dann begriff er, warum er mich dabei trotzdem nicht entdecken konnte, und verlegen lächelte er mich an.
    »Gut, Eva, machen wir auch das wie damals«, sagte er, »ich lasse Sie jetzt allein!«
    Regungslos nahm ich auch das noch zur Kenntnis, sah ihm dabei zu, wie er sich langsam erhob, wie er bedächtigen Schrittes zur Tür ging, hinausging, die Tür hinter sich schloss …!
    Schon einmal hatte ich so dagesessen und auf die geschlossene Zimmertür gestarrt. Damals hatte ich dabei geweint, jetzt war ich nicht zu einer einzigen Träne fähig. Trotzdem stand ich auf wie damals, trat ans Fenster und blickte hinüber zur Kinderklinik – wie damals. Aus einem der Fenster drang schon Lampenlicht. Ein kleiner Junge stand auf einem Stuhl und presste seine Nase gegen die Glasscheibe. Dabei hielt er sich mit einer Hand am Fenstergriff fest, und die andere reckte er empor zu einem offenbar selbst gebastelten Hampelmann. Immer und immer wieder zog er an der Schnur, und das kleine Kerlchen parierte bei jedem Ruck, spreizte Arme und Beine, schloss sie, spreizte, schloss, spreizte … ein lebloses Stück Holz erwachte zum Leben, durch einen Ruck …
    Wir hatten den 24. April 1978, es war der Geburtstag meiner Mutter, und draußen regnete es noch immer. Langsam drehte ich mich wieder

Weitere Kostenlose Bücher