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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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hatte.
    »Eva …«, hauchte sie, »… Mädchen … wie kommst du denn auf so etwas …?«
    »Aber es ist die Wahrheit, Mama!«
    »Ich bitte dich, Eva! Ich lag zwar in Narkose, aber ich wüsste doch, wenn da etwas gewesen wäre. Du wirst da so eine Art von Albtraum gehabt haben. – Meinst du nicht auch, Ernst?«
    Mein Vater konnte ihr nur beipflichten. »Grimms Märchen!«, tönte er.
    Doch damit gab ich mich nicht zufrieden. »Wie wäre es, wenn ihr es einfach mal nachprüfen würdet?«, schlug ich vor.
    »Was denn nachprüfen?«
    »Da gibt es doch nichts nachzuprüfen!«
    »Bitte!!!«
    Es dauerte noch fast zwei Stunden, bis ich meine Eltern endgültig davon überzeugt hatte, dass sie sich doch nichts dabei vergaben, wenn sie Onkel Hans mal nach den genauen Umständen meiner Geburt fragten. Als sie schließlich dazu bereit waren, erledigten sie es prompt. Noch am gleichen Abend riefen sie ihn an, doch wollte Hans das nicht am Telefon erörtern. Er bat meine Eltern zu sich, und er war ziemlich verstört, dass man zwanzig Jahre später nach etwas fragte, was er seit zwanzig Jahren vergessen wollte.
    »So etwas habe ich nie wieder erlebt«, erklärte er. Damit hatte er sein Gewissen dann endlich erleichtert, und zum Ausgleich trugen meine Eltern jetzt die Last. Ihnen war unbegreiflich, dass ich mich an diese ersten Bilder meines Lebens hatte erinnern können, mehr noch, es war ihnen unheimlich. »Bei so etwas kann es doch nicht mit rechten Dingen zugehen!«
    Das Wort »Abschlussuntersuchungen« war nichts anderes als ein Pseudonym für das Wort »Tortur«. Ein letztes Mal wurde der körperliche Zustand des Patienten geprüft und statistisch erfasst, damit fortan jeder – vom Studenten bis zum Professor – nachlesen konnte, wie es am Ende der therapeutischen Hölle um den Betroffenen bestellt gewesen war, und deshalb wurden innerhalb weniger Tage noch einmal sämtliche Tests gemacht, die überhaupt jemals gemacht worden waren, das Spektrum reichte also von Blutuntersuchungen über das Einführen diverser Kontrastmittel bis hin zu den wirklich komplizierten Eingriffen wie Punktionen und Endoskopien. Glücklicherweise spiegelten die Ergebnisse immer nur die innerliche Verfassung wider. Fotografiert wurde nicht, und das war nur gut, denn äußerlich wirkten nach den Abschlussuntersuchungen selbst hartgesottene Naturen kränker, als sie jemals gewesen waren. Da ich das wusste, machte ich mir von vornherein keine Illusionen. Was hunderttausende vor mir aus dem Sattel des Wohlbefindens geworfen hatte, würde auch mich nicht verschonen.
    Danach begann das große Warten auf die Ergebnisse der Untersuchung, und mit jedem Tag wuchs die Angst vor einer bösen Überraschung.
    So kam der 24. April 1978, der Geburtstag meiner Mutter. Zwei Jahre hintereinander hatte sie auf ein Fest verzichtet; diesmal konnte sie das nicht, die Familie hätte ihr sonst nie verziehen. Deshalb kamen sie und mein Vater nur am Morgen kurz vorbei, und ich gratulierte, wie es sich für eine anständige Tochter gehörte; die übrige Zeit blickte ich gedankenverloren aus dem Fenster. Es regnete. Der Himmel war grau in grau, und es regnete in Strömen, es wollte gar nicht wieder aufhören. Die Fensterscheibe war mittlerweile übersät von Wassertropfen und von weißlichen Flecken, die ehemals Wassertropfen gewesen waren, und irgendwann fing ich an, die Dingerchen zu zählen, zuerst die Tropfen, dann die Flecken … ich kam aber nie sonderlich weit damit. Meine Augen und vor allem meine Konzentration ließen mich jedes Mal im Stich, und so gab ich schließlich auf und schaltete den Fernsehapparat ein. Das war am späten Nachmittag, man brachte gerade die Aufzeichnung eines abba-Konzerts – »Waterloo« und »I do, I do«, »Ring Ring« und »sos« –, es war nett genug, um sich davon berieseln zu lassen. Da kam Professor Mennert.
    Schon als ich ihn zur Tür hereinkommen sah, wusste ich, dass dies kein gewöhnlicher Besuch war. Der ganze Mann wirkte so merkwürdig, so ganz anders als sonst. Automatisch schaltete ich den Ton des Fernsehers ab und verkroch mich in mein Bett.
    Aufrecht saß ich am Kopfende, einen Zipfel des Oberbetts fest in der Hand.
    »Guten Abend, Eva!«
    »Guten Tag, Herr … Herr Professor …!« Die Worte wollten mir kaum über die Lippen. Mir wurde plötzlich klar, dass meine bisherige Angst nichts als ein lächerlicher, kleiner Schneeball gewesen war. Jetzt wurde jedes einzelne Risiko, das ich vorher nur abstrakt durchdacht hatte,

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