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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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Auskunft überforderte mich. »Aber wenn sie doch nicht mehr atmet, kann sie doch auch nicht mehr leben.«
    Claudia sah mich missbilligend an. Das beschämte mich. Ich wusste ja selbst, dass ich keine Ahnung hatte, vom Leben nicht und erst recht nicht vom Sterben. Gerade wollte ich mich entsprechend rechtfertigen, da vernahm ich ein schauerliches Geräusch. Es war ein Röcheln, ein unmenschlich gurgelndes Röcheln, das aus Ina und doch aus einer anderen Welt zu kommen schien, es war ein Endlaut: die Eustachische Atmung.
    Es dauerte lange, bis ich sie ertragen konnte, ohne jedes Mal zusammenzuzucken. Immer länger wurden die Abstände, immer bedrohlicher. Dann war es plötzlich vorbei.
    Claudia und ich sahen einander an. Zwanzig Sekunden, dreißig, eine Minute, zwei, … die Stille nahm kein Ende. Wir blickten auf Ina und sahen, wie sich der Tod über sie beugte. Ein letztes Mal erklang der Endlaut … verklang … aus.
    Ina war der erste Mensch in meinem Leben, den ich hatte sterben sehen.
    Später, als Ina gewaschen wurde, saßen Claudia und ich draußen auf dem Gang. Wir rauchten Zigaretten und schwiegen einander an.
    »Sonne Scheiße!«, fluchte Claudia schließlich.
    Ich seufzte.
    »Weiße, warum ich dat allet gemacht hab?«
    »Was?«
    »Na, die Briefe geschriem und den Saukerl gesacht, dat er kommen soll!«
    Bisher war ich sicher gewesen, Claudia hätte Ina damit einen Gefallen tun wollen.
    »Ich weiß es nicht«, sagte ich.
    Sie senkte den Kopf. »Weil … mein Willi is ja auch son Aas. Lässt mich in Stich, und trotzdem lieb ich ihm. Er braucht ga nix tun, ich lieb ihm auch so. Und da wollt ich nich, dat dat die Ina auch so geht. Ich hab gedacht, wenn diesen Saukerl von Bertram nu herkommt und se wat vorlücht, dann hätt er wenichstens en bissken wat geleistet für all die Liebe. Verstehse?«
    Ich verstand, und ich spürte, dass wir einander auf sonderbare Weise näher kamen.
    Bevor ich an diesem Abend noch weiter darüber nachdenken konnte, flog die Schwingtür am Ende des Ganges auf, und ein großer, schlanker Junge kam herein. Er hatte pechschwarzes Haar, passend zur modisch zerknautschten Lederjacke. Seine strahlend blauen Augen harmonierten mit der Farbe der lässig verwaschenen Jeans. Die braun gebrannte Haut schimmerte verführerisch wie in einem Werbespot, er war eine Männerschönheit. Nur sein Auftreten stimmte nicht. Seine Schritte waren unsicher, zaghaft, fast ängstlich.
    »Dat is er!«, erkannte Claudia sofort.
    Dann sprang sie auf und rannte in unser Zimmer.
    Im gleichen Moment trat Behringer aus dem Zimmer 107 heraus. Er bemerkte natürlich, dass etwas nicht stimmte, und als er den jungen Mann erblickte, wusste er alles.
    »Ja, bitte?«
    »Ich … ich bin Bertram Schuster.«
    Ein paar Stunden früher hätte sein Stammeln noch mein Mitleid erweckt. Jetzt empfand ich nur noch Abscheu und Ekel, ich hätte den Mann anspucken können, so sehr widerte er mich an.
    Behringer erging es wohl nicht anders, aber er wusste diese Regungen zu verbergen. Er fixierte Bertram in Seelenruhe und atmete laut vernehmbar.
    »Sie haben sich sehr viel Zeit gelassen, junger Mann!«
    »Es … es ging nicht schneller.«
    »Nein?«
    »Wo … wo ist sie?«
    Ich spürte den dicken Kloß in meinem Hals und die aufsteigenden Tränen.
    Ich fühlte mich wie ein einsamer Zuschauer vor einer riesigen Kinoleinwand, der den Ausgang des Melodrams kennt, während der Held noch im Ungewissen schwebt. Er wusste noch nicht, dass er zu spät gekommen war, ein Menschenleben zu spät.
    Gebannt hielt ich den Atem an und wartete darauf, dass Doktor Behringer ihm die Wahrheit sagen würde. Aber der sagte nichts. Stattdessen lächelte er charmant und wies auf die Tür von Zimmer 107.
    »Warten Sie aber bitte noch einen Moment, Herr Schuster, Ina wird nämlich gerade gewaschen. Nehmen Sie am besten solange Platz.«
    Dann verschwand er wieder in Inas Zimmer.
    Ich wusste wirklich nicht, was ich davon halten sollte. Nervös rutschte ich auf meinem Stuhl hin und her, während Bertram lächelnd auf mich zukam.
    »Sind Sie Claudia Jacoby?«, fragte er.
    »Nein.«
    »Darf ich mir eine Zigarette nehmen?«
    »Ja.«
    Er nahm mir gegenüber Platz, und ich nutzte die Gelegenheit, ihn mir genauer anzusehen.
    Bertram Schuster übertraf, aus der Nähe betrachtet, selbst die kühnsten Erwartungen. Er hatte ein fein geschnittenes und dennoch männliches Gesicht, die Augen waren groß und wirkten in dem fahlen Licht wie die eines Plüschtieres. Er hatte eine

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