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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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die ganze Zeit«, brüllte er. »Sie legen die Eva an Schläuche und Pumpen und reden von Gottes Ratschlag?«
    »Schließlich war es Gott, der einen geschickten Menschen diese Schläuche und Pumpen erfinden ließ. – Tut mir Leid, Herr Martin, das ist mein letztes Wort.«
    Noch in der gleichen Nacht fand die letzte der insgesamt acht Abszessinzisionen statt, und am darauf folgenden Morgen war ich zum ersten Mal seit Wochen fieberfrei.
    Das schockierte mich so sehr, dass ich mit großen Kinderaugen in die Runde blickte und inständig hoffte, irgendjemand möchte mir irgendeine glaubwürdige Erklärung dafür geben. Doch ich wartete vergebens. Vielmehr befreite man mich nacheinander von den einzelnen Apparaten und Schläuchen und stellte Ansprüche: Ich sollte wieder essen, ich sollte wieder trinken, ich sollte wieder sprechen, Wunsche äußern, Entscheidungen treffen. Für mich, die ich mich so sehr auf den Tod eingestellt hatte, kam all das einer Menschenrechtsverletzung gleich, und ich beschwerte mich lautstark. Just in dem Augenblick, da ich die Intensivstation zum teuersten »Mist-Laden« weit und breit erklärte, hielt Professor Mennert den Zeitpunkt dann für gekommen, mich auf S 1 zurückzubringen.
    Meine Eltern küssten ihm fast die Füße vor Dankbarkeit.
    »Wenn Sie nicht gewesen wären«, sagten sie, »dann wäre die Eva jetzt nicht mehr.«
    Daraufhin beschloss ich, mit diesem Mann nie wieder ein überflüssiges Wort zu wechseln. Auch Claudia war der Freude voll. Sie heulte fast vor Glück, als sie mich wiedersah.
    »Mensch«, jauchzte sie, »du has ja echt de Natur von son Neandertaler. Datte dabei nich abgegangen bis!«
    Dass mich das noch weitaus mehr verwunderte als sie, behielt ich für mich. Überhaupt behielt ich erst mal das meiste für mich. Ich schwieg mich aus, meine Gesichtszüge wurden so eisig, dass viele in meiner Gegenwart zu frösteln begannen.
    Meine Verstocktheit ging Claudia schon bald auf die Nerven.
    »Pass ma auf!«, keifte sie mich an, »entweder du machs dat Maul auf, oder ich schlach dir so lang rein, bisset überhaupt nich mehr zukriss. Kapiert?«
    Ich nickte.
    »Dann sach, wat Sache is!«
    Das zu formulieren war nicht sonderlich schwierig.
    »Ich will sterben!«, sagte ich laut und deutlich.
    Claudia stutzte. »… Na bravo!«
    In den kommenden Wochen tat ich alles, um meine Todessehnsucht zu erfüllen. Ich verweigerte die Nahrungsaufnahme, aber Professor Mennert ließ mich künstlich ernähren. Als ich mich auch dagegen sträubte, wurden meine Arme und Beine festgeschnallt. Ich legte mir alle möglichen Erklärungsmuster zurecht, warum Gott meinen Willen nicht erhört habe, aber demnächst doch noch in Erfüllung gehen lassen würde. Aber nichts geschah.
    Peter Iwanow, mein ehemaliger Partner auf der Ballettbühne, hatte mich in den vergangenen Monaten regelmäßig besucht. Eines Abends war er ungewöhnlich schweigsam. Früher hatten wir zwar kaum miteinander geredet, aber seit ich im Krankenhaus lag, hatte sich das geändert. Umso erstaunter war ich, dass er jetzt wieder so stumm dasaß.
    »Ist irgendetwas?«, fragte ich vorsichtig an.
    »Nein.«
    »Wirklich nicht?«
    »Nein.«
    »Liegt es an …?« Ich wies auf die Mennertschen Folterinstrumente, den Tropf, die Gurte, mit denen man mich zur Nahrungsaufnahme zwang.
    »Aber nein!«, sagte er laut und deutlich.
    »Gut! – Wie geht es dir?«
    »Danke, gut. Und dir, Eva?«
    »Danke, auch! – Und im Theater, wie geht es da?«
    Langsam blickte Peter auf und sah mir fest in die Augen.
    »Ich habe gekündigt!«
    Das überraschte mich sehr. Warum er gekündigt hatte, wollte ich wissen, und wohin er ginge, in welche Stadt, zu welchem Choreographen. Aber er sagte nur: »Ich mache Schluss!« Und da war all meine Neugierde dahin, ich war nur noch entsetzt.
    »Ich bin vierzig«, sagte er.
    »Nurejew ist –«
    »Ich bin nicht Nurejew.«
    Peter hatte mich schon immer gern mitten im Satz unterbrochen, aber ich war sicher gewesen, diese unangenehme Angewohnheit hätte er mittlerweile abgelegt. Jetzt wusste ich es besser.
    »Du musst das verstehen«, sagte er leise.
    »Das kann ich nicht verstehen.«
    »Aber, Eva, ich wollte mit dir Karriere machen, mit einer Partnerin, die mir gehört, die ich gemacht habe. – Ich bin zu alt, um noch mal anzufangen.«
    Mir wurde schwarz vor Augen, als ich das hörte. Was er mir da sagte, hatte ich längst geahnt. Ich hatte nur nie darüber nachdenken wollen und es deshalb immer wieder verdrängt. Jetzt, da

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