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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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ihrer Stimme schwang nicht einmal ansatzweise so etwas wie ein Vorwurf.
    »Dagegen kann man aber doch gar nichts tun!«, sagte ich traurig.
    »Doch!«, erwiderte Claudia.
    »Wie denn?«
    »Nich, indem du dir Nädelkes int Fleisch haust.«
    »Sondern?«
    Sie sah mich an, als wüsste ich das selbst, als wäre ich nur zu faul, darüber nachzudenken. Da ich mich jedoch als nachhaltig begriffsstutzig erwies, gab sie schließlich nach.
    »Guck dich ma an, Evken!«, sagte sie mitleidig. »Schämen tuse dich, Angst hasse, und dat allet bloß wegen deine Glatze und den schäbbigen Kadaver.«
    »Na und?«
    »Dat is genau dat, wat unsre Freunde da draußen so erwaten. Jetz musse bloß noch ganz wacker abkratzen, dann bisse en richtig bravet Mädchen. Machs kein Dreck! Machs kein Ärger!«
    Ich sah sie mit großen Augen an und versuchte verzweifelt zu verstehen, was sie mir mit alldem sagen wollte. Doch da war ihre Geduld auch schon erschöpft, und sie packte mich bei den Schultern.
    »Mensch, Evken!«, brüllte sie dabei. »Wehr dich! Noch bisse da, also sieh ma zu, dat die da draußen dat merken!«
    »Aber warum denn?«, wimmerte ich.
    »Damit denen ihr System vonne makellose Schönheit endlich kaputtgeht.«
    »Warum?«
    »Damit so welche wie wir irgendwann auch ma auf de Straße gehn können, ohne Haare, voll Ausschlach, aber lustig!!!«
    Ich starrte sie an und war einfach nur noch sprachlos. Eigentlich verspürte ich ja gar kein Verlangen mehr in mir, auf die Straße zu gehen. Vielleicht spürte ich dieses Verlangen aber auch nur deshalb nicht, weil ich genau wusste, dass Kahlköpfigkeit und Unreinheit da draußen »ekelhaft« genannt wurden. Wenn es so war, hatte Claudia Recht. Dann musste man sich wehren. Nur … wie sollte so ein schwächliches Wesen wie ich gegen ein wohl organisiertes System ankämpfen?
    »So auf en Plötz weiß ich dat auch nich«, sagte Claudia, die sich inzwischen wieder in ihr Bett gelegt hatte. »So wat musse richtig aushecken.«
    Ich musste lächeln. Schon oft hatte ich mich gefragt, was Claudia dachte, wenn sie wie jetzt lang ausgestreckt in ihrem Bett lag und an die weiß gekalkte Zimmerdecke starrte.
    »Dass du dann immer was ausheckst, hätte ich nie gedacht«, sagte ich jetzt.
    »Tu ich auch nich.«
    »Nein?«
    »Nee!«
    »Woran denkst du dann, wenn du so daliegst?«
    »An Ficken!«
    Die Antwort kam so prompt und so laut, dass es mir erst einmal die Sprache verschlug.
    »Immer?«, erkundigte ich mich schließlich zaghaft.
    »Immer!«
    »Und warum hast du mir das nie gesagt?«
    Claudia sah mir geradewegs in die Augen und grinste. »Weil ich weiß, dat du an dat Gleiche denks, wenn de daliechs. Stimmt et?«
    Ich wurde rot vor Scham, und sie grinste nur noch mehr.
    »Et stimmt also!«, meinte sie dann und rekelte sich wohlig in die Kissen.
    Es stimmte tatsächlich.
    Von all den vielen Dingen, die ich durch meine Krankheit versäumt zu haben glaubte, war der Sex das einzige, was ich wirklich betrauerte. Das ging so weit, dass ich manchmal in wilden Tagträumen kräftige Männerhände sah, die mich begierig berührten. Ich fantasierte von rauschenden Festen und Orgien mit Alkohol und betäubender Musik und Sex, Sex, Sex … das schien mir Lebensfreude zu sein, das und nur das!
    »Weißt du was?«, fragte ich nach einer Weile Claudia.
    »Nee!«
    »Bevor ich sterbe, tu ich es noch!«
    »Wat?«
    »Ich schlafe mit einem Mann!«
    Claudia sah mich entsetzt an. »Flipp doch nich rum!«, schnauzte sie dann. »Guck ma innen Spiegel, Eva! Wer so wat wie dich ranlässt, der lässt auch nen Hund ran!«
    Dieser Einwand schockierte mich dermaßen, dass ich erst mal nach Luft rang.
    »Dann geh’ ich eben auf den Strich!«, brüllte ich.
    Claudia brach in schallendes Gelächter aus.
    »Wie viel wolltese dem denn bezahlen?«, kreischte sie.
    »Und wenn es das Letzte ist, was ich tue!!!«
    »Wenn de dat jez tus, is et bestimmt dat Letzte.«
    Es war merkwürdig, aber plötzlich wurde mir klar, dass ich tief in mir wohl ein Leben lang von einem Mann geträumt hatte, der mich lieben würde, wie ich ihn immer schon geliebt hatte. Er brauchte nicht schön zu sein und nicht reich, wohl aber sensibel und zärtlich, verletzbar und trotzdem mutig. Jetzt starb er mit einem Teil von mir, in einem einzigen Augenblick.
    »Weißt du«, sagte ich zu Claudia, »ich glaube, dass es den alten Leuten genauso geht. In der Seele fühlen sie sich immer noch wie siebzehn, aber ihre Körper sind faltig, ihre Gesichter sind runzelig

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