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Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Zwei Frauen: Roman (German Edition)

Titel: Zwei Frauen: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana Beate Hellmann
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liebevoll. Das war himmlisch, himmlisch beruhigend, ich kam mir fast vor wie ein ganz normales Mädchen bei seinem ersten Rendezvous.
    »Gut«, sagte El Brutalo leise, »dann sind wir uns ja einig. Sie sind schließlich eine tapfere, junge Frau. Sie beißen mal kurz die Zähne zusammen, und ich inzidiere den Abszess gleich hier. Das tut ein bisschen weh, aber wenn es vorbei ist, haben Sie sofort Erleichterung, und das ist ja das Wichtigste. Einverstanden?«
    »Ja«, antwortete ich mit der Inbrunst, die man sonst wohl nur vor dem Standesbeamten aufbringen kann.
    Das freute El Brutalo. Seine Zärtlichkeit und seine Wärme waren sofort wie weggeblasen. Er ließ meine Hand so abrupt los, dass sie auf die Seitenverstrebung des so genannten Pflaumenbaums knallte, und ich wusste kaum, wie mir geschah.
    Ich hatte keine Ahnung, worauf ich mich da eingelassen hatte. Es war schließlich mein erster Abszess, und was
es bedeuten mochte, ihn zu »inzidieren«, war mir schleierhaft.
    Derweil schritt El Brutalo zur Tat. Da mir nicht nur die Kopfhaare, sondern auch alle anderen ausgefallen waren, erübrigte sich eine Rasur. Die Schwester desinfizierte den Abszess und sein Umfeld, und dann reichte sie ihrem promovierten Vorgesetzten ein merkwürdig aussehendes metallenes Besteck.
    »Was wollen Sie denn damit?«, fragte ich atemlos. El Brutalo antwortete mir nicht, baute sich aber frontal vor mir auf, das Besteck in der Hand wie Ritter Kunibert die Lanze.
    »Sie wollen doch wohl nicht –«
    Weiter kam ich nicht, denn El Brutalo machte seinem Name Ehre. Der Ritter bohrte seine Lanze mit roher Gewalt in meinen Abszess, und ich schrie wie zur Stunde des Jüngsten Gerichts. Der Ritter vergrößerte die Öffnung der Wunde mit wachsender Begeisterung und bestialischer Brutalität, und mit all seiner Körperkraft presste er sie aus, und ich schrie und schrie und schrie … bis mein Atem endete und mir schwarz vor Augen wurde.
    »Eva …!« – Die Hand, die da so liebevoll meine Wange tätschelte, erschreckte mich so sehr, dass ich hysterisch aufkreischte.
    »Aber, Eva … Mädchen …!«
    Misstrauisch öffnete ich die Augen, und als ich Doktor Behringers Gesicht erblickte, kamen mir sofort die Tränen.
    »Was ist denn?«, fragte er, und dabei wirkte er fast ein bisschen verstört. »Was haben Sie denn?« Es vergingen viele Stunden, bis ich mich überwinden konnte, meine Geschichte zu erzählen.
    Behringer konnte es nicht fassen.
    »Sie wollen doch wohl nicht ernsthaft behaupten, dass die Ihnen den Abszess ohne Narkose gespalten haben?!«
    »Doch!« Ich hatte solche Angst, das zuzugeben, und ich schämte mich so, das zugeben zu müssen.
    »Nicht mal eine örtliche Betäubung?«
    »Nein!«
    Ich brach in Tränen aus. Ich schluchzte wie ein Kind, und immer wieder erfasste mich diese ängstliche Scham, diese schamhafte Angst, die alles nur noch schlimmer machte. Mennert kam, und auch ihm stand die Fassungslosigkeit im Gesicht geschrieben.
    »Ich weiß gar nicht, was ich dazu sagen soll«, flüsterte er, »es tut mir so Leid, Eva, ich verspreche Ihnen, dass so etwas ganz bestimmt nie wieder vorkommt.«
    Doch dieses Versprechen kam zu spät. Ich verkroch mich in die hinterste Ecke meines Bettes, rollte mich zusammen wie ein Embryo und brachte kein einziges Wort mehr über die Lippen. Was ich erwartet hatte, war eingetreten: Ich war gestraft worden. Gott im Himmel hatte zugelassen, dass man mich, einen Menschen aus Fleisch und Blut, behandelt hatte wie ein Stück Vieh. Der Grund dafür lag für meine Begriffe auf der Hand. Der Mensch, der ich geworden war, hatte einfach keinen größeren Wert mehr als ein Stück Vieh. Ich war eben ein hoffnungsloser Fall, die Karikatur einer Frau, der man weder Achtung noch Rücksicht entgegenbringen musste. Ich war medizinisches Freiwild, zum Sterben noch zu stark, zum Leben aber schon lange zu schwach. Mich konnte man quälen und demütigen, und ich konnte mich nicht dagegen wehren. Das zu erkennen und durchzudrehen war eins. Von einem Augenblick zum anderen ließ ich mich gehen. Ich schrie wie am Spieß, wenn es mir gerade in den Sinn kam, und die Zahl meiner hysterischen Anfälle war binnen weniger Tage so hoch, dass mich kaum noch jemand ernst nahm. Dann bekam ich wieder Fieber. Der eben erst auf so brutale Weise inzidierte Abszess hatte sich neu gebildet, aber dieses Mal war er längst nicht so groß, überhaupt nicht schmerzhaft, dafür aber lebensgefährlich.
    »Sich vergrünende Streptokokken«, lautete

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