Zwei Frauen: Roman (German Edition)
ich dieser Wahrheit schonungslos ins Gesicht blicken musste, war sie doppelt schrecklich für mich. Sie ließ ein Schuldbewusstsein in mir erwachen, das mich förmlich erdrückte. Peter bemerkte das nicht, er schwelgte in süßen Erinnerungen.
»Weißt du noch?«, flüsterte er. »Damals, als ich was Junges gesucht habe?«
Ich wusste es noch ganz genau, mir war, als wäre es erst gestern gewesen.
»Du warst gerade zwölf Jahre alt«, fuhr er fort, und dabei klang seine Stimme wehmütig wie nie zuvor. »Ganz klein warst du, Eva, ganz dünn, und ganz lange, blonde Zöpfe hast du gehabt. Weißt du das noch?« Er lachte auf. »Die ist es, hab’ ich gedacht, als ich dich sah, genau die. Die hat so was Freches, die ist …«
Ich begann zu weinen. Als er versuchte, mich zu trösten, wich ich aus.
»Was ist denn, Eva? Das kannst du doch nicht leugnen, dass du was Freches hattest –«
Wieder versuchte er, mich an sich zu ziehen, aber dieses Mal wehrte ich mich richtig. Er grinste. »Das hast du ja immer noch!«, sagte er, gab dann aber doch auf. Humor war nun wirklich das Letzte, was ich in dieser Situation ertragen konnte.
»Tut mir Leid«, flüsterte er.
Ich sah ihn an. Alt war er geworden in den letzten Monaten, das fiel mir erst jetzt auf. Er hatte seinen Sommer bereits hinter sich, und warum das so war, lag meines Erachtens auf der Hand.
»Es ist meine Schuld!«, rief ich.
Er wusste sofort, was ich meinte, denn er erwiderte, was jeder Mensch in einem solchen Augenblick erwidert hätte: »So darfst du das nicht sehen, Eva!«
»So muss ich es sehen!!!«
Peter Iwanow hatte von der großen Karriere geträumt. Auf meine Jugend und auf seine Erfahrung hatte er Luftschlösser gebaut, jetzt lag er am Boden. Das kleine, dünne Mädchen mit den langen Zöpfen hatte ihn mit sich in die Tiefe gerissen. Ich war schuld an seinem Untergang, ich war schuld, ich, ich …
Tag und Nacht redete ich mir das ein, und je mehr ich es mir einredete, desto größer wurde meine Verzweiflung. Nicht Gott hatte sich geirrt, wie ich in der Vergangenheit immer geglaubt hatte, ich hatte mich geirrt. Ich verdiente Strafe, ich verdiente dieses Sterben bei lebendigem Leibe, denn ich stürzte alle Menschen ins Unglück. Meine Eltern, Frau Gruber, Peter, sie alle hatten unter mir leiden müssen und litten auch jetzt noch, weil ich schlecht war.
»Schwachsinn!«, meinte Claudia dazu. »Guck mich an, mir hasse Glück gebracht. Du wars da, und ich bin inne neue Remission.«
»Das hättest du auch ohne mich geschafft.«
»Dat is nich sicher.«
»Du hättest es ohne mich bestimmt sogar besser geschafft. Menschen wie ich stürzen andere immer nur ins Verderben.«
»Mach wat dran!«, gab Claudia lakonisch zurück.
»Das macht sich von allein, das siehst du ja. Menschen wie ich werden bestraft, sie müssen bestraft werden.«
Da ich wirklich davon überzeugt war und da man mich von meinen Überzeugungen noch nie hatte abbringen können, wartete ich nunmehr gebannt auf weitere Qualen. Doch die blieben aus.
Vielmehr »versuchte« man es noch einmal mit mir, nahm mir die Gurte, die Sonde und den Tropf wieder ab, baute auf meine Vernunft. Das brachte mich fast um meinen restlichen Verstand. Ich fühlte mich geneckt, denn immer dann, wenn ich glaubte, des Rätsels Lösung gefunden und damit Gottes himmlische Strategie durchschaut zu haben, kam alles ganz anders . Nichts von dem, mit dem ich gerechnet hatte, traf ein, wodurch ich mich zwangsläufig am Ausgangspunkt meiner vorausgegangenen Überlegungen wiederfand. Einige Male hatte ich das ja nun mit mir machen lassen, doch diesmal war es mir endgültig zu dumm. Ich nahm mir vor, Gottes Ratschlag zu umlaufen. Da Er jetzt offenbar doch nicht die Absicht hatte, mich weiter zu quälen, beschloss ich, das selbst in die Hand zu nehmen, denn immerhin war ich, Eva Martin, mir selbst eine Last, und von der wollte ich mich nunmehr befreien. Mir kam schon bald eine Idee. Aus Claudias Nähzeug stibitzte ich mir eine ganz besonders schöne, lange und spitze Stricknadel. Nun wartete ich nur noch auf einen günstigen Moment. Am nächsten Tag war es dann so weit.
»Wie kann man aber auch so krank werden!« Karin Ortmann, Claudias Nachbarin, konnte es wieder mal nicht lassen.
»Ich war niemals krank«, flötete sie, »ich hatte nur die Masern und die Röteln und die Windpocken, sogar den Blinddarm und die Mandeln habe ich noch. Aber ich habe ja auch immer gesund gelebt.« Wie gewöhnlich entbrannte in der Folge
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