Zwei Geschichten von der See
ja …«
»Halt die Klappe, du Missgeburt! Siehst du nicht, dass ihn das aufregt?«
Quincas jedoch hörte gar nicht zu. Er wandte sich ruckartig dem Gefreiten Martim zu, der gerade versucht hatte, ihm seinen rechtmäßigen Schluck aus der Pulle vorzuenthalten. Beinahe hätte er mit dem Kopf die Flasche umgestoßen.
»Gib Väterchen was zu trinken …«, forderte der Schwarze Pastinha.
»Er hat schon so viel verschüttet«, rechtfertigte sich der Gefreite.
»Er kann trinken, wie er will. Das ist sein gutes Recht.«
Der Gefreite Martim schob die Flasche in Quincas’ offenen Mund:
»Ganz ruhig, Kumpel. Ich wollte dich nicht linken. Trink nur, trink nach Herzenslust. Ist ja schließlich dein Fest …«
Die Debatte um Quitéria wurde aufgegeben. Wie die Dinge lagen, wollte Quincas von dieser Angelegenheit kein Wort hören.
»Gut ist das Zeug!«, lobte Sperling.
»Ein sauberer Fusel!«, korrigierte Quincas, der sich auskannte.
»Na, bei dem Preis …«
Der Frosch war Quincas auf die Brust gesprungen. Er begutachtete ihn ein wenig und verwahrte ihn dann in der Tasche seines alten, schmuddeligen Sakkos.
Der Mond zog über der Stadt und den Wassern auf, der Mond von Bahia in seinem silbernen Überfluss, sein Licht drang zum Fenster herein. Mit ihm kam der Wind vom Meer, blies die Kerzen aus, schon konnte man den Sarg nicht mehr sehen. Gitarrenklänge trieben über den Hügel, eine Frauenstimme, die von Liebeskummer sang. Auch der Gefreite Martim begann zu singen.
»Er mag es doch, wenn gesungen wird …«
Sie sangen zu viert, der Bass des Schwarzen Pastinha verlor sich erst weit hinter dem Hang, dort, wo die Segelschiffe fuhren. Sie tranken und sangen. Quincas ließ keinen Schluck aus und kein Lied, er mochte Gesänge.
Als sie der Singerei überdrüssig wurden, fragte Sperling:
»Ist nicht heute Abend das Fischessen bei Mestre Manuel?«
»Stimmt, das war heute. Moqueca mit Rochen«, warf Flinkfuß ein.
»Keiner macht eine Moqueca wie Maria Clara«, unterstrich der Gefreite.
Quincas schnalzte mit der Zunge. Pastinha lachte:
»Er ist ganz verrückt danach.«
»Dann gehen wir doch hin. Sonst ist Mestre Manuel noch beleidigt.«
Sie wechselten einige Blicke. Sie waren etwas spät dran, sie mussten ja noch die Frauen holen. Sperling hatte Bedenken:
»Wir haben versprochen, ihn nicht allein zu lassen.«
»Wieso allein? Er kommt mit.«
»Ich habe Hunger«, sagte der Schwarze Pastinha.
Sie wandten sich an Quincas:
»Magst du mitkommen?«
»Bin ich vielleicht ein Krüppel, dass ich hierbleiben muss?«
Ein Schluck, um die Flasche zu leeren. Sie halfen Quincas auf die Füße. Pastinha bemerkte:
»Der ist so besoffen, allein hält der sich nicht auf den Beinen. So viel wie früher verträgt er nicht mehr. Auf geht’s, Väterchen.«
Sperling und Flinkfuß gingen voraus. Quincas – so ließ sich’s leben – tänzelte zwischen Pastinha und dem Gefreiten einher, die ihn untergehakt hatten.
11
Offenbar sollte es eine denkwürdige Nacht werden, unvergesslich. Quincas Wasserschrei war in Hochform. Eine ungewöhnliche Begeisterung hatte von den Freunden Besitz ergriffen, sie fühlten sich als Herren jener phantastischen Nacht, in der der Vollmond das Geheimnis der Hauptstadt von Bahia umhüllte. Auf der Ladeira do Pelourinho versteckten sich Pärchen in den jahrhundertealten Hauseingängen, Katzen maunzten auf den Dächern, Gitarren hauchten Serenaden. Es war eine Zaubernacht, in der Ferne erklangen Atabaque-Trommeln, der Pelourinho glich einem geisterhaften Bühnenbild.
Quincas Wasserschrei amüsierte sich prächtig, immer wieder versuchte er, dem Gefreiten und dem Schwarzen ein Bein zu stellen, er streckte den Passanten die Zunge heraus, dann schob er den Kopf in einen Hauseingang, um mit boshaftem Lächeln ein Liebespaar zu beobachten, und legte es bei jedem Schritt darauf an, sich der Länge nach auf die Straße zu legen. Die fünf Freunde spürten keine Eile mehr, es war, als gehörte ihnen die Zeit voll und ganz, als stünden sie außerhalb des Kalenders, und jene magische Nacht von Bahia sollte sich mindestens eine Woche lang ausdehnen. Denn, wie der Schwarze Pastinha bekräftigte, der Geburtstag von Quincas Wasserschrei ließ sich nicht in ein paar knappen Stunden begehen. Quincas erhob keine Einwände dagegen, Geburtstag zu haben, obwohl die anderen sich nicht erinnern konnten, ihn in den Jahren zuvor gefeiert zu haben. Anders als die vielfachen Verlobungen von Sperling, die Geburtstage von
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