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Zwei Herzen im Winter

Zwei Herzen im Winter

Titel: Zwei Herzen im Winter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: MERIEL FULLER
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mit dem Gesicht nach unten auf den Planken des Kahns, weigerte sich, die Augen zu öffnen, wollte sich nicht eingestehen, was sie bereits wusste. Der Mann im Boot war Talvas of Boulogne.
    Sie hätte erleichtert sein müssen; er würde ihr wenigstens nicht die Kehle durchschneiden. Aber aller Lebensmut hatte sie verlassen. Am liebsten wäre sie in den dunklen Tiefen des Meeres versunken. Starke Finger packten sie und drehten sie unsanft auf den Rücken. Ihr Hinterkopf schlug hart gegen die Planken.
    „Los! Setz dich auf!“, befahl er mit barscher Stimme, und sie richtete sich mühsam auf. Der Mond tauchte wieder hinter den rasch dahintreibenden Wolken auf und beleuchtete ihr schmales Gesicht. Sie hörte, wie er den Atem scharf einzog. Bei dem Sprung vom Schiff hatte sie den Hut verloren und ihre nassen Zöpfe hingen ihr schlaff über die Schultern. Fassungslos blickte er in ihr bleiches nasses Gesicht, sah die vor Kälte blau gefrorenen Lippen, ihre schlotternde zusammengesunkene Gestalt. Einen Moment lang vergaß er alles um sich her, vergaß, was er zu tun hatte beim Anblick dieses triefenden Wesens, dem das Wasser über das Gesicht perlte, vom Kinn in den Ausschnitt ihres Leinenhemdes tropfte, das an ihren Brüsten klebte. Er spürte ein verräterisches Ziehen in den Lenden und fluchte leise in sich hinein, verärgert und verblüfft über ihre Wirkung auf ihn. So etwas hatte er nicht mehr verspürt, seit … Nein, er wollte und konnte jetzt nicht an diese Frau denken!
    „Vielleicht erfahre ich, was das zu bedeuten hat?“, fragte er leise. „Es kommt nicht alle Tage vor, dass ich eine Meerjungfrau aus dem Wasser ziehe.“
    „Es kommt auch nicht alle Tage vor, dass ich ins Meer springe“, entgegnete sie streitlustig. „W…was habt Ihr eigentlich hier zu suchen?“ Ihre Zähne schlugen klappernd aufeinander.
    „Darf ich Euch die gleiche Frage stellen?“, entgegnete Talvas. „Ihr habt ein untrügliches Gespür dafür, zur falschen Zeit am falschen Ort zu sein, Madame.“ Dieser unverschämte, anmaßende Kerl! Er klang, als sei es ihre Schuld, dass er sich nachts heimlich auf ihr Schiff geschlichen hatte. Sie presste die Lippen aufeinander, weigerte sich störrisch, sich ihre Erleichterung einzugestehen, ihn zu sehen und keinen bärtigen zahnlosen Räuber mit einem Messer in der Hand.
    „Das ist mein Schiff“, stieß sie wütend hervor. „Es ist mein gutes Recht, auf meinem Schiff zu sein, ganz im Gegensatz zu Euch.“
    „Ihr versteht mich falsch, Madame“, entgegnete er gedehnt, als würde er mit einem begriffsstutzigen Kind reden. „Welcher Narr springt mitten im Winter ins eiskalte Meer?“ Er begann, mit geübten gleichmäßigen Stößen an Land zu rudern.
    „Ich bin kein Narr“, protestierte sie schwach und stellte benommen fest, dass ihre Füße taub waren.
    „Und warum kommt Ihr auf diese verrückte Idee?“ Seine samtene Stimme klang weder tadelnd noch besorgt. „In diesem eiskalten Wasser ertrinkt ein kräftiger Mann, ganz zu schweigen von einem schwachen Geschöpf wie Ihr.“
    „Ich dachte, Ihr bringt mich um. Ich hielt Euch für einen Räuber und Mörder.“
    „Und wieso habt Ihr Euch nicht vergewissert, wer ich bin?“
    „Hätte ich warten sollen, bis Ihr mir die Kehle aufschlitzt?“ Emmeline schlotterte am ganzen Körper, zog die Knie an und schlang die Arme um ihre Beine, um sich irgendwie zu wärmen.
    „Ihr seid zu lange im kalten Wasser gewesen“, murmelte er und warf ihr seinen Umhang um die Schultern.
    „Nicht durch meine Schuld“, entgegnete sie spitz. „Wärt Ihr nicht auf meinem Schiff herumgeschlichen, wäre ich nicht gesprungen. Was hattet Ihr eigentlich dort zu suchen?“
    Der Wind fuhr ihm in die schwarzen Locken. Er schaute über die Schulter und vergewisserte sich, dass die Richtung stimmte. „Ich wollte mich nur umsehen“, meinte er achselzuckend. „Ich gestehe, dass ich Euch für einen Dieb hielt“, sagte er und blickte ihr bohrend in die Augen.
    Bald knirschte das Boot über den Kies, und Talvas sprang über die Bootswand. Emmeline hatte Mühe, mit den nassen Kleidern auf die Füße zu kommen. Ungeduldig warf sie seinen Umhang von sich.
    „Nein, den müsst Ihr anbehalten.“ Er legte ihn ihr wieder um die Schultern und trug sie an Land. Emmeline hatte Mühe, das Gleichgewicht auf den glitschigen Steinen zu bewahren, obgleich Talvas sie stützte. „Ihr müsst so rasch wie möglich aus diesen nassen Sachen. Ich bringe Euch zu Geoffrey und Marie.“
    Sie

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