Zwei Herzen im Winter
hat hohes Fieber. Wir müssen so rasch wie möglich Land erreichen, sonst verschlimmert sich ihr Zustand. Wir haben keine Arzneien an Bord.“
Die Planken erzitterten und knarrten in ihren Verankerungen, als das Schiff einen Wellenberg steil nach oben schoss, um gleich darauf in ein Wellental hinunterzurasen. Emmeline verlor den Halt unter den Füßen und klammerte sich fester an Talvas.
„Ganz ruhig, Madame“, sagte er fast befehlend, gleichzeitig schlang er seinen Arm um sie und zog sie an sich. „Es ist verdammt schwer bei diesem Seegang, den Halt nicht zu verlieren.“
„Talvas, ich muss hinauf und das Segel befestigen, sonst verliere ich mein Schiff.“
Er verzog das Gesicht. Würde die Kleine nie aufgeben? Bisher war er der Meinung gewesen, Frauen seien schwache Geschöpfe, angewiesen auf den Schutz starker Männer, die sie vor der harten Wirklichkeit des Lebens bewahrten. Diese Frau aber setzte sich über alle Bestimmungen und Regeln hinweg, trachtete ständig danach, ihren Freiheitswillen und ihre Unabhängigkeit unter Beweis zu stellen, als wolle sie ihn zwingen, seine Meinung über das schwache Geschlecht zu ändern. Aber wer war er, um ihr Vorschriften zu machen? Sie ging ihn nichts an, gehörte nicht zu ihm. Er war nicht ihr Herr und Gebieter, der ihr befehlen konnte, sich seinem Willen zu beugen. Er hatte keine Rechte über sie.
„Seid Ihr Eurer Sache sicher?“, fragte er unvermutet.
Emmeline wusste, dass sie gewonnen hatte, und nickte heftig. Widerstrebend löste sie sich aus dem Schutz seines Armes, zerrte sich den durchnässten Umhang von den Schultern und warf ihm das Bündel vor die Füße, löste die Bänder der seitlichen Verschnürung ihres Bliauts und streifte sich das Gewand über den Kopf, ohne zu bemerken, dass Talvas sie dabei beobachtete. Das dünne Untergewand klebte an ihrem Busen und den Rundungen ihrer Hüften.
„Habt Ihr vor, nackt auf den Mast zu klettern?“ Talvas bezähmte seinen Wunsch, sie an sich zu ziehen und ihr die letzten Hüllen vom Leib zu reißen. Hastig richtete er den Blick in die Ferne, als sie sich bückte, um die Riemen ihrer Schuhe zu lösen.
Sie lachte. „Nein, Mylord, aber ohne die hinderlichen Gewänder kann ich besser klettern. Seid unbesorgt, ich bringe Euch nicht in Verlegenheit.“
„Dafür danke ich meinem Schöpfer“, brummte er. Der Ausschnitt ihres Unterkleids klaffte auf. Selbst im Dunkeln konnte er die verlockende Schwellung ihrer Brüste sehen. „ Bonne chance, ma petite. “ Seine Worte klangen gestelzt, unbeholfen. Ihre Blicke begegneten sich, verschmolzen ineinander. Ihr war, als könne er bis in die Tiefen ihrer Seele schauen.
Er sah zu, wie sie sich schwankend dem Mast näherte – und fühlte sich ohnmächtig. Er durfte das Ruder nicht loslassen, konnte den Mast nicht selbst hochklettern. Er musste ihr vertrauen. Kopfschüttelnd versuchte er, das Gefühl der Hilflosigkeit zu verdrängen. Wie lange war es her, dass er einer Frau vertraut hatte? Er tat gut daran, niemals zu vergessen, dass der Vertrauensbruch einer Frau sein Leben verändert und ihm Unglück gebracht hatte. Aber diese zierliche Person mit ihrer spitzen Zunge, ihrem Widerspruchsgeist und ihrem eisernen Willen drohte all seine Vorsätze ins Wanken zu bringen.
Emmeline streckte sich, um die ersten Knoten der Strickleiter am Mast zu fassen, zog sich hoch und stellte den linken Fuß in die erste Sprosse. Sie holte tief Atem, zwang sich, nicht an die Gefahr zu denken und sich nur auf ihre Aufgabe zu konzentrieren. Die wilde Entschlossenheit, ihr Schiff zu retten, verlieh ihr Kraft, ließ sie die Schwäche in ihrem verletzten Bein vergessen, und sie kletterte geschickt und zielstrebig den Mast hinauf. Ihr langer Zopf flatterte im Sturm. Der Mast hatte etwa die Höhe von drei übereinander stehenden Männern, und bald war sie oben angelangt. Sie hütete sich, den Blick nach unten in die brodelnde Gischt zu richten, kümmerte sich auch nicht darum, ob Talvas sie beobachtete. Sie schlang die Schenkel um den Mast, verschränkte die Füße ineinander, wie sie es in ihrer Kindheit geübt hatte. Dadurch hatte sie beide Hände frei, um die losen Enden der Leine zu fassen, die sie am Querbaum festzurrte und mehrmals verknotete. Die Muskeln in Rücken und Beinen schmerzten, ihre klammen Finger hatten Mühe, den Knoten zu befestigen und das Segel straff zu ziehen. Sie spürte, wie ihre Kräfte merklich nachließen. Doch dann blähte sich das Segel wieder im Wind. Fertig! Sie
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