Zwei Herzen im Winter
Wind hat sich gerade gedreht“, erklärte Talvas geduldig. „Seht, der Steuermann justiert bereits die Ruderpinne.“
„Ich kenne den Mann nicht, habe ihn noch nie gesehen.“ Emmeline musterte den bärenstarken Seemann, dessen klobige Fäuste auf dem Holz der Ruderpinne lagen. „Seid Ihr sicher, dass er weiß, was er tut?“
Ihre Kapuze begann nach hinten zu rutschen, und sie schob sie kurzerhand in den Nacken.
„Das will ich meinen. Er steht seit Jahren in meinen Diensten. Wir haben gemeinsam viele Seefahrten unternommen.“ Talvas nickte zu ihm hinüber. „Ich vertraue ihm blind.“
„Und damit soll ich mich zufrieden geben?“ Die spitze Bemerkung sprudelte unüberlegt aus ihr heraus. Was war nur an diesem Mann, das sie ständig reizte, zu sticheln und ihn anzugreifen? Immerhin hatte sich sein Verhalten ihr gegenüber merklich verändert, bei all seiner Arroganz konnte er auch höflich und zuvorkommend sein. Sie war gut beraten, ihm möglichst aus dem Weg zu gehen.
„Könnte es eine bessere Empfehlung geben?“ Er zog eine dunkle Braue hoch.
„Eine Empfehlung von Euch? Einem Mann, der nichts zu verlieren hat?“
Talvas lachte schallend, der Kranz feiner Fältchen um seine Augen vertiefte sich. Du liebe Güte, was für ein zänkisches Weib! Er hatte große Lust, ihren roten Kirschmund mit einem Kuss zum Schweigen zu bringen, ihre zierliche Gestalt in seine Arme zu ziehen, bis sie um Gnade flehte …Verflucht! Er schüttelte sich, setzte wieder seine undurchdringliche Maske auf und befahl sich, die Augen vor der Schönheit ihres vom Seewind rosigen Gesichts zu verschließen.
Emmeline neigte den Kopf seitlich, in Erwartung einer Antwort.
Talvas musterte sie streng. „Ihr benehmt Euch wie ein zänkisches altes Weib. Euer Vater hat wohl versäumt, Euch beizeiten übers Knie zu legen.“
„Es steht Euch nicht zu, so vertraulich mit mir zu sprechen. Im Übrigen hätte mein Vater so etwas nie getan.“ Ihre grünen Augen funkelten vor Zorn.
„Hätte er es nur getan. Dann hättet Ihr vielleicht gelernt, Eure spitze Zunge in Zaum zu halten.“
Emmeline straffte die Schultern und reckte das Kinn. „Wie könnt Ihr es wagen, so mit mir zu sprechen! Ihr überschreitet die Grenzen des guten Benehmens.“ Sie stieß ihre kleine Faust gegen seine breite Brust.
„So wie Ihr, Madame? Ihr redet mit mir wie mit einem gewöhnlichen Bauern, nicht wie mit einem Lord!“ Sie errötete unter seiner Zurechtweisung und schwieg. „Was ist mit Eurem Ehemann?“, fuhr Talvas hartnäckig fort. „Wieso hat er Euch nicht gezüchtigt?“ Er wollte sie absichtlich kränken, den Zorn dieser kleinen eigensinnigen Hexe herausfordern, bis sie die Beherrschung verlor und ihm gestand, was in ihrer Ehe vorgefallen war. „Hätte er Euch dieses dreiste Benehmen durchgehen lassen?“
Emmelines Welt geriet aus den Fugen. Der Wadenkrampf in ihrem verletzten Bein schien sie zu verhöhnen, eine ständige Erinnerung an ihre Leidenszeit. Was wusste er über Giffard? Oder klopfte er lediglich auf den Busch? Nein, Giffard hatte ihr nichts durchgehen lassen. Beim geringsten Widerwort hatte er sie bestraft. Gedemütigt. Gezüchtigt. Eingesperrt. Sie wollte nicht an ihre leidvolle Vergangenheit erinnert werden, doch dieser Mann forderte sie heraus, reizte sie bis aufs Blut, und die hässlichen Erinnerungen stürmten auf sie ein, als wäre alles erst gestern geschehen.
Talvas beobachtete sie mit wachsendem Interesse. Sie reagierte, als habe er ihr einen Eimer eiskaltes Wasser ins Gesicht geschüttet. Das Feuer in ihren Augen erlosch, ihre zarten Schultern sackten nach vorne. Sie schlang die Arme um sich, ein Zittern durchflog sie. „Mein Ehemann lebt nicht mehr.“ Und dafür danke ich Gott, fügte sie im Stillen hinzu.
„Habt Ihr ihn geliebt?“, fragte Talvas unvermutet.
Sie starrte blicklos ins Leere. „Liebe? Nein, Mylord, mit Liebe hatte das nichts zu tun.“ Ihre Stimme war voller Verachtung.
„Dann habt Ihr den Mann auf Wunsch Eures Vaters geheiratet?“
„Mein Vater hätte dieser Verbindung niemals zugestimmt. Er hätte alles getan, um sie zu verhindern.“ Ihre Augen verdunkelten sich. „Aber Giffard war vermögend, und meine Mutter und ich waren völlig verarmt.“
Talvas legte seine Hand über die ihre, seine Finger übten einen kurzen zuversichtlichen Druck aus. „Sprecht mit mir darüber“, drängte er leise und senkte den Blick seiner tiefblauen Augen in die ihren.
„Ich kann nicht.“ Wenn sie darüber
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