Zwei Herzen im Winter
atemberaubenden Wonnen, die ihr Talvas beschieden hatte. Sie bereute nichts von dem, was soeben geschehen war, obgleich die Kirche solches Tun missbilligte. Witwen waren dazu verdammt, ein stilles, zurückgezogenes Leben zu führen. Sie lächelte still. Aber wer sollte je davon erfahren?
Sie genoss das wohlige Gefühl, von Talvas’ starken Armen umfangen zu sein, und gleichzeitig versuchte sie sich zu entsinnen, welches Geräusch sie geweckt hatte.
„Talvas?“, flüsterte sie. Als er sich sachte in ihrer Umarmung bewegte, durchströmte sie ein unglaubliches Glücksgefühl.
„Was gibt’s?“ Seine tiefe, leise Stimme entfachte ihr Verlangen erneut. Sein warmer Atem hauchte an ihre Wange, sein kraftvoller Arm zog sie besitzergreifend an sich.
„Mir war, als hätte ich Sylvies Stimme gehört. Ich muss zu ihr.“
Er stöhnte. „Es ist noch stockdunkel. Bleib bei mir!“
Sie drehte sich in seinen Armen, genoss das Gefühl, seine nackte Haut zu spüren, streichelte zart die feinen Haare an seinem Arm bis zur Schulter, wühlte die Finger in seine Locken und strich sie ihm aus der Stirn. „Ich komme wieder.“
„Läufst du vor mir weg, Emmeline?“
Sie lachte leise. „Nein, nie. Das war das Schönste, was ich je erlebt habe.“
Er zog sie an sich und nahm ihren Mund in einem leidenschaftlichen Kuss in Besitz. „Nach allem, was wir soeben genossen haben, bin ich nicht sicher, ob ich dich gehen lassen möchte.“ Der Besitzerstolz in seinem Tonfall beunruhigte sie.
„Es war ein Liebesakt, Talvas, keine Bindung auf Lebenszeit“, entgegnete sie leichthin.
„Es war mehr als ein Liebesakt“, murmelte er.
Hitze wallte in ihr auf. „Das bedeutet nicht, dass ich dir gehöre, Talvas.“
„Das habe ich nie behauptet …“ Er hob ihr Kinn mit zwei Fingern. „Wovor hast du solche Angst?“
Sie rückte von ihm ab. „Ich gehöre keinem Menschen“, flüsterte sie in die Dunkelheit.
„Verstehe bitte eins, Emmeline. Ich habe keine Macht über dich, auch nicht nach dem, was wir soeben empfunden haben.“
„Du bist ein Mann.“
„Das habe ich bemerkt“, entgegnete er schmunzelnd.
Sie legte ihm die Hand auf die Brust, sein Kraushaar kitzelte sie. „Scherze nicht, Talvas. Jetzt hast du einen Anspruch an mich.“
Talvas betrachtete sie sinnend im Halbdunkel, ihr blondes langes Haar, den Perlmuttschimmer ihrer zarten Haut. Ihre Worte hallten in ihm nach. Was sollte er ihr antworten? Dass er sie begehrte, sie brauchte, sie sein ganzes Leben an seiner Seite wünschte? Sie verabscheute den Gedanken an die Fesseln einer Ehe.
„Geh und schau nach Sylvie“, brummte er und gab ihr einen zärtlichen Klaps. „Wir reden später.“ Sie huschte in ihrer silbrigen Nacktheit aus dem Bett, streifte sich Hemd und Bliaut über und bedeckte ihre blonde Haarfülle mit einem leichten Wollschal. Als die Tür hinter ihr leise ins Schloss fiel, verschränkte er die Arme hinter dem Kopf. Bisher hatte er gelebt wie ein hohles Gefäß, ein Mann, der nichts zu verlieren hatte. Nun aber hatte er alles zu verlieren.
Emmeline stand auf der dunklen Wendeltreppe und versuchte, ihre wirren Gedanken zu ordnen. Hatte sie einen Fehler begangen, sich Talvas hinzugeben? Nicht dass ihr verräterischer Körper ihr eine andere Wahl gelassen hätte. Doch die Zärtlichkeit in seinen Augen und der Besitzerstolz in seinem Blick gingen ihr nicht aus dem Sinn.
In der Burg herrschte tiefe Stille, nur das Schnarchen der Soldaten in der Großen Halle war entfernt zu hören. Seltsam tröstliche Geräusche, die ihr das Gefühl gaben, nicht ganz allein in der Finsternis zu sein. Auf Zehenspitzen huschte sie in Sylvies Schlafkammer, nur um festzustellen, dass ihr Bett leer war. Wohin mochte sie gegangen sein? Emmeline warf noch einen raschen Blick in andere Kammern. Nichts. Hatte Sylvie sie mitten in der Nacht gesucht? Das schien die einzig mögliche Erklärung für ihr Verschwinden zu sein. Emmeline eilte in die rauchgeschwängerte Halle, suchte die Reihen der Soldaten ab, die, in ihre Umhänge gehüllt, tief schliefen. Mit wachsender Unruhe fragte Emmeline sich, ob Sylvie den Entschluss gefasst hatte, auf eigene Faust zu fliehen.
Die Nacht war eisig. Emmeline zog den Schal enger um die Schultern, als sie den Burghof überquerte. Der Wachsoldat machte nur ein verdutztes Gesicht, wagte aber nicht, sie zurückzuhalten, als sie ihm befahl, das Tor zu öffnen. Ein eisiger Windstoß fuhr ihr ins Gesicht, während sie die brennende Fackel hochhielt, um
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