Zwei Katzen unterm Weihnachtsbaum
Boden sprang. Auf Zehenspitzen schlich ich zur angelehnten Tür und spähte ins Wohnzimmer. Richtig, dort schweifte ein dünner Lichtstrahl aus einer Taschenlampe umher.
Saphirblaues Glas leuchtete auf, und behandschuhte Finger griffen danach.
Das war zu viel!
»Halt! Keine Bewegung!«, brüllte ich und suchte hektisch nach dem Lichtschalter.
Die Gestalt drehte sich zu mir um und stürzte sich auf mich. Nur eine schnelle Drehung ersparte mir einen Schlag mit dem schweren Murano-Flakon auf den Kopf. Ich bekam die Hand zu fassen, die ihn hielt, und verdrehte das Gelenk. Mit meiner Linken fing ich das Glas auf und versuchte gleichzeitig, meinen Angreifer durch einen Tritt zu Fall zu bringen.
Wenig erfolgreich, mit bloßen Füßen!
Ich prellte mir die Zehen und bekam einen hässlichen Schlag in den Magen ab. Aber die Taschenlampe fiel zuBoden, und daher erhaschte ich in ihrem Licht einen Blick auf das Gesicht meines Gegners.
Verena Hammerschmitt!
Ich hätte es wissen müssen!
Sie versuchte, durch die Tür zu entkommen. Dabei trat sie Peluche in die Seite. Die Königin heulte auf und schlug zu.
Ihre Krallen zeitigten eine andere Wirkung als meine nackten Füße.
Verena winselte und versuchte, die Katze, die sich in ihre Waden gekrallt hatte, abzuschütteln.
Ich hingegen versuchte, Verena zu packen.
Die Pflegerin verfügte über enorme Kräfte. Kein Wunder, wer Kranke tragen musste, entwickelte sie wohl oder übel.
Sie riss sich wieder los und polterte die Treppe hinunter.
Ich rannte hinter ihr her, den Flakon wie eine Keule in der Hand.
Sie wollte durch die Hintertür entkommen, die sie wie auch immer geöffnet hatte, doch ich war vor ihr da und versperrte ihr den Weg.
Dumm, wirklich dumm, denn als Nächstes stürzte sie in den Laden.
Es polterte. Hinter mir rappelte die Katzenklappe.
Ich machte das Licht an, aber als ich in den Laden trat, stand Verena mit einem Brieföffner in Form eines Dolches in der Hand mir gegenüber. Die Schneide war zwar stumpf, aber gefährlich war das Ding allemal.
»Schließen Sie die Tür auf!«, zischte sie.
»Lassen Sie das Messer fallen!«
»Aber nein, meine Liebe. Sie schließen auf und geben mir dann auch diese hübsche Glasarbeit mit, die Sie da in der Hand halten. Wir wollen doch keinen Streit miteinander, oder?«
Sie machte einen Schritt auf mich zu, und ich merkte, wie meine Hände feucht wurden.
Draußen kreischte eine Katze.
Langsam bewegte ich mich rückwärts zur Theke, wo der Schlüssel zur Ladentür lag. Ich musste Zeit gewinnen. Denn einfach in der Nacht verschwinden, das konnte diese Verrückte sich nicht leisten.
Die Katze kreischte noch immer.
Ich zog die Schublade auf und bemerkte, wie Verena mich mit einem bösartigen Glitzern in den Augen beobachtete.
»Ich dachte, das Mistvieh wäre draufgegangen«, flüsterte sie gehässig. »Drei Aspirin hätten eigentlich reichen müssen.«
Roter Zorn wallte in mir auf, flutete über mein Rückgrat nach oben und breitete sich hinter meiner Stirn aus. Ich starrte die Katzenquälerin an, und seltsamerweise machte sie nun einen Schritt rückwärts.
Ihr Fuß traf auf Plunder – oder besser gesagt auf die Stelle, wo sein Schwanz hätte sein müssen.
Plunder mutierte augenblicklich zu einem Ballen aggressivsterZuckerwatte, sprang auf die Theke und von dort auf Verenas Brust.
Sie stolperte weiter rückwärts – und ich schlug zu.
Dumpf traf der dicke Glasboden der Karaffe ihre Schläfe.
Sie knickte ein, fiel nach hinten und stürzte mitsamt dem Holzparavent ins Schaufenster.
Fassungslos und unfähig mich zu rühren sah ich, wie sie unter Splittern, Christbaumschmuck und Spieldosen begraben wurde.
Bei einer der Spieldosen setzte sich die Walze in Bewegung.
»O du fröhliche, o du selige …«
Ein hysterisches Lachen überwältigte mich, und ich ließ mich vor den Trümmern auf den Boden sinken.
So fanden mich gleich darauf Olli und Irmela.
Mein Lachen verwandelte sich in ein haltloses Schluchzen.
»Was ist passiert, Ginger? Gott, das ist ja die Hammerschmitt!«
Irmela kniete bei der Bewusstlosen nieder.
Hoffentlich war sie nur bewusstlos. Meine Hand hielt noch immer die schwere Karaffe umklammert.
»Telefon!«, stieß ich zwischen zwei Schluchzern hervor, und Olli reichte mir den Hörer. Zum Glück hatte mich als Letzter Simon angerufen, so dass ich seine Nummer aktivieren konnte. Mit zittriger Stimme antwortete ich auf sein verschlafenes »Hallo?«.
»Ich bin’s, Ginger. B…bei mir ist …
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