Zwei Schritte hinter mir
Vögel über mir und um mich herum. Ich öffnete die Augen. Wenn jemand in der Nähe war, sah ich ihn jedenfalls nicht. Ich streckte meinen schmerzenden Körper und sah über die Wiese. Unter anderen Umständen, wenn ich mit meinem Großvater hier gewesen wäre anstatt allein, hätte ich das alles bestimmt für eine Art Paradies gehalten. Auf dem langen Gras der Wiese glitzerten winzige Diamanten, wo das Sonnenlicht vom Tau reflektiert wurde, der sich dort angesammelt hatte, während ich schlief.
Tau.
Ich setzte mich auf und betrachtete die Tröpfchen an jedem Grashalm.
Tau …
Wasser.
Ich sprang auf, rannte zum Rand der Wiese und warf mich auf Hände und Knie, um am Gras zu lecken. Die Feuchtigkeit auf meiner Zunge schmeckte kühl und erfrischend. Ich leckte weiter. Mir fiel auf, dass durch meine Bewegungen das meiste Wasser auf den Boden fiel. Dank Großvater wusste ich, dass die Wärme der Sonne die kostbaren kleinen Tropfen bald aufsaugen würde. Was konnte ich tun? Konnte ich den Tau irgendwie einsammeln? Ich kniete mich hin, um nachzudenken. Dabei bemerkte ich, dass die Ärmel
meiner Jacke und meine Jeans an den Oberschenkeln nass waren, und hatte eine Idee.
Ich riss mir die Jacke herunter und zog das T-Shirt aus. Dann zog ich die Jacke wieder an und betrachtete das T-Shirt. Ich opferte es nicht gerne, aber wenn ich mein Vorhaben ausführen wollte, musste es schnell gehen, und eine schnellere Art fiel mir nicht ein. Ich biss in den Saum, bis ich einen kleinen Riss hineinbekam. Dann nahm ich es mit beiden Händen und riss es in zwei Hälften. Ich band mir je eine Hälfte um einen Knöchel, stand auf und lief durch das feuchte Gras. Bald waren beide Hälften des T-Shirts klatschnass.
Ich ging zu meinen Sachen zurück, band die T-Shirt-Hälften los und wrang sie aus in die Metallschüssel, die ich mitgenommen hatte. Dann goss ich das Wasser aus der Schüssel vorsichtig in die Feldflasche. Ich schraubte den Deckel zu und ging wieder los. So ging ich hin und her, sammelte den Tau auf, presste ihn in die Schüssel und goss das Wasser in die Flasche, bis es – welch Wunder! – dort befriedigend gluckerte, wenn ich sie schüttelte. Jedes bisschen Tau, das ich fand, sammelte ich auf. Schließlich sank ich auf die Knie, hob die Schüssel an die Lippen und trank jeden Tropfen, der nicht mehr in die Flasche passte. Es war köstlich.
Ich fühlte mich ein wenig besser. Meinen Durst hatte ich gestillt und ich konnte sogar noch Wasser
mitnehmen. Ich schnürte wieder mein Bündel, überprüfte meine Richtung, setzte mir zwei neue Landmarken und ging weiter in Richtung Westen. Ich würde wenigstens nicht verdursten – zumindest nicht heute.
7
Mein Magen knurrte und grollte immer schlimmer. Während ich durch den Wald stolperte, dachte ich an Essen – Truthahnbraten mit Soße, Hühnchen und Klöße, Grandpas frisch gefangene Fische, am offenen Feuer gegrillt, die Kekse, die er gelegentlich morgens buk und die wir noch warm, mit Butter und selbst gemachter Marmelade, aßen. Was hätte ich nicht für einen Keks mit Marmelade gegeben.
Oder zumindest für irgendetwas Essbares.
Bald wurden die Kiefern im Wald gelegentlich von anderen Bäumen abgelöst. Es gab mehr Birken und ab und zu ein paar Grüppchen mit Zedern. Nachdenklich betrachtete ich die Birken und erinnerte mich daran, wie Großvater mich gefragt hatte: »Wusstest du, dass Spaghetti auf Bäumen wachsen, Stephanie?«
Klar. Und das sollte ich glauben?
»Nein, Grandpa, tun sie nicht, Spaghetti werden aus Weizen gemacht und der wächst auf Feldern und nicht auf Bäumen.«
»Ich spreche nicht von Spaghetti Bolognese. Ich spreche von Wildnis-Spaghetti.«
»Wildnis-Spaghetti?« Oh-oh. Ging das schon wieder los. In Grandpas Gesprächen drehte es sich ständig um Wildnis hier, Wildnis da. »Und du sagst, Wildnis-Spaghetti wachsen auf Bäumen?«
»Jep.«
Er klang, als ob er es ernst meinte. Ich stellte mir so etwas wie einen Ahornbaum vor, von dem große Fäden von Spaghetti herunterhingen wie Blätter und Zweige einer Trauerweide aus Pasta. Als ich Grandpa den Baum beschrieb, lachte er.
»Die Wildnis-Spaghetti findet man innen in den Bäumen, nicht außen, Stephanie.«
Es stellte sich heraus, dass Grandpa mit Wildnis-Spaghetti die innere Rinde der Birken meinte.
»Die kann man essen«, erklärte er. »Wenn man sie in Streifen schneidet und sie in eine Suppe oder einen Eintopf gibt, kann man sie von echten Spaghetti kaum unterscheiden. Wenn es sein muss,
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