Zwei Schritte hinter mir
Vielleicht tut es ihr gut, eine Weile wegzugehen.« So war ich fast drei Monate fort.
Als ich wieder nach Hause kam, hatte meine Mutter aufgehört zu weinen. Sie hatte Gregg getroffen.
Sie hatten sich in der Selbsthilfegruppe getroffen, zu der ihre Freundinnen sie geschleift hatten. Greggs Frau war im Jahr zuvor gestorben, ebenfalls bei einem Unfall. Er und meine Mutter gingen den ganzen Sommer lang zu wöchentlichen Treffen in der Gemeindehalle, wo die Leute über ihre toten Angehörigen sprachen und dass sie sich ohne sie verloren fühlten. Allison, die es von ihrer Mutter erfuhr, die als Friseuse stets den besten Klatsch der Stadt hörte, berichtete, dass meine Mutter und Gregg bald darauf nach der Gruppe zusammen
Kaffee tranken. Und dann essen gingen. Und dann … nun ja, ist ja klar. Ich konnte es nicht fassen.
Noch im selben Jahr saß Gregg an Thanksgiving auf Dads Platz im Esszimmer und schnitt den Truthahn an. Gleich darauf kam er ein paarmal in der Woche zum Essen. Und blieb über Nacht. Er zog nicht direkt bei uns ein, es geschah sozusagen schleichend. Sein Rasierzeug besetzte eines der kleinen Regale im Bad. Er ließ einen Satz Kleidung zum Wechseln im Haus, »für den Notfall«. Und dann mehrere Wechselsachen. Seine dreckigen Jeans und T-Shirts tauchten in der Wäsche auf. Er begann, sein kleines Fahrtenbuch neben dem Telefon auf dem kleinen Ecktisch in der Küche aufzubewahren. Abends nach dem Essen saß er manchmal da und versuchte auszurechnen, wie viele Fahrten er gemacht hatte, um die Verkaufsautomaten zu füllen und wie viele Meilen er gefahren war, damit er sie seinem Kumpel in Rechnung stellen konnte.
Wenn das Telefon läutete, hatte ich meist jemanden am Apparat, der Gregg sprechen wollte. Ungefähr zu dieser Zeit begann ich, mit meiner Mutter zu streiten. Ich sagte ihr, dass niemand jemals meinen Vater ersetzen könnte. Ich sagte, wenn sie meinen Vater wirklich geliebt hätte, würde sie nicht so bald nach seinem Tod mit jemand anderen daten. Dafür verpasste sie mir eine Ohrfeige. Ich war so überrascht, verletzt und wütend, dass ich einfach von zu Hause weglief, einfach
so. Ich hasste sie. Ich wollte nicht mehr bei ihr sein. Ich ging zum Highway und streckte den Daumen aus. Ich war nicht einmal sicher, wohin ich fahren wollte. Nach Norden wahrscheinlich, zu meinem Großvater. Aber es war mir egal, wohin, Hauptsache, es war weit weg von meiner Mutter.
Mr Whitten, der Direktor des Chors in der Kirche, in die wir gingen, hielt an und nahm mich mit. Er fragte mich, wo ich hin wollte. Ich sagte, ich wolle eine Freundin in der nächsten Stadt besuchen. Dort setzte er mich ab und ich streckte wieder den Daumen aus. Das zweite Auto, das mich mitnahm, war ein Polizeiauto, in dem Clark Adderly saß. Es stellte sich heraus, dass Mr Whitten sich Sorgen um mich gemacht hatte und die Polizei gerufen hatte. Clark Adderly fuhr mich nach Hause. Als er meiner Mutter erzählte, wo er mich gefunden hatte, begann sie zu weinen.
Ob ich nicht wüsste, wie gefährlich es war, zu trampen. Ob ich nicht wüsste, dass ich dabei umkommen könnte? Ich schrie sie an, dass es mir egal sei.
Danach rannte ich noch ein paar Mal weg. Jedes Mal rastete meine Mutter aus. Jedes Mal, wenn ich wieder nach Hause kam, weinte sie. Aber es änderte nichts. Sie traf sich weiter mit Gregg. Er verbrachte mehr und mehr Zeit bei uns zu Hause. Zwei Tage vor meiner Entführung hatte meine Mutter mir erzählt, dass sie und Gregg darüber nachdachten zu heiraten.
»Heiraten?« Ich konnte es nicht fassen. »Dad ist erst seit zwei Jahren tot. Wie kannst du nur daran denken, wieder zu heiraten? Ich dachte, du hast Dad geliebt!«
»Das habe ich auch«, antwortete sie. »Und das tue ich noch.«
»Nein, tust du nicht. Du liebst Gregg.«
»Das heißt nicht, dass ich deinen Vater nicht auch noch liebe. Ich werde ihn immer lieben.« Sie bekam feuchte Augen, aber damit konnte sie mich nicht hereinlegen. Wenn sie meinen Dad wirklich geliebt hätte, hätte sie sich nicht so kurz nach seinem Tod schon mit Gregg getroffen. Dann würde sie nicht davon reden, wieder zu heiraten. »Aber das Leben geht weiter, Stephanie.«
»Nicht für Dad.«
Meine Mutter erstarrte.
»Ich bin sechsunddreißig, Stephanie«, erklärte sie. »Du kannst nicht erwarten, dass ich den Rest meines Lebens allein verbringe. Ich werde deinen Vater nie vergessen. Aber die Tatsache, dass er weg ist, kann ich nicht ändern. Und ich weiß, dass er es gewollt hätte, dass ich
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