Zwei sündige Herzen: Roman (German Edition)
ihm auf. Wie jedes Mal, wenn er mit einem Angriff auf seine Person rechnete.
Er packte sie beim Ellbogen, zog sie in einen dunklen Hausalkoven, von dem eine schmale Treppe zur Straße führte. »Und was hast du gesehen?«
»Dich.« Sie schluckte schwer. Ihre Lippen bebten. »Alles von dir.«
Sein Herz setzte einen Schlag lang aus.
Jener See war seine Flucht nach einer Tracht Prügel gewesen. Der einzig sichere Rückzugsort für ihn. Dort hatte er die Blessuren an seinem Körper untersucht, seine Schmerzen mit dem kühlen Quellwasser gelindert und versucht, sich von dem Blut und der Schmach reinzuwaschen. Zu denken, dass jemand ihn die ganze Zeit von den Felsen her beobachtet hatte, war fürchterlich. Seine Magengrube krampfte sich zusammen. Er war nackt gewesen, in jeder Hinsicht. Verletzlich. Blutunterlaufene Male, aufgeplatzte Haut und eiternde Striemen … sie hatte das alles gesehen.
Er hatte Jahre gebraucht, all die Wunden zu verdrängen, die sein Vater ihm beigebracht hatte. Einige waren verheilt, andere verbargen sich unter neueren Narben. Wenigstens glaubte er, dass er sie versteckt hatte. Aber das hatte er nicht. Meredith hatte sie gesehen. Jede einzelne. Auch diejenigen, die er selber nicht hatte sehen können.
Erschwerend gesellte sich hinzu, dass er ein Heranwachsender gewesen war, mit natürlichen männlichen Impulsen, sehnsüchtig nach einem flüchtigen Augenblick körperlicher Freuden …
Verdammt, verdammt, verdammt. Also daher wusste sie, dass er seine linke Hand bevorzugte.
Er presste die kühle Abendluft in seine Lunge und musste husten. »Ich kann es nicht fassen.«
»Rhys, bitte.«
Er wandte sich empört und erbittert ab. Erbittert über ihr Verhalten. Aber am meisten über sich selber. Hatte er sich allen Ernstes eingebildet, Meredith würde ihn aus freien Stücken heiraten? Selbst Frauen, die nicht Zeuge jener Schmach geworden waren, waren entsetzt, wenn er sie berührte.
Er zerrte an seiner Krawatte, um sie am Hals zu lockern. Er kämpfte mit einer plötzlichen Atemnot. Sie wusste es. Sie wusste alles.
»Bitte.« Sie fasste seinen Ärmel und legte ihre andere Hand auf seine Wange, um sein Gesicht zu sich zu drehen. Er wandte zwar den Kopf zu ihr, brachte es jedoch nicht über sich, ihren Blick zu erwidern.
»Es tut mir unsäglich leid«, sagte sie, ihre Stimme stockte. »Es war furchtbar unrecht von mir, das weiß ich jetzt. Aber ich bin dir überallhin gefolgt. Ich konnte nicht anders. Du warst stark und mutig und immerzu in Bewegung, du warst alles, was ich mir zu sein wünschte, ich war fasziniert von dir. Ich war vernarrt in dich, um die Wahrheit zu sagen.«
Ein heiseres Lachen verfing sich in seiner Kehle. »Vernarrt in mich.«
»Ja«, erwiderte sie mit festerer Stimme. »Ja. Ich betete dich an. Ich war dir mit Haut und Haaren verfallen. So wahr mir Gott helfe, ich bin es noch immer.«
Sie legte ihm beide Hände auf die Wangen und zog sein Gesicht zu sich hinunter, um einen Kuss auf sein Kinn zu hauchen, dann einen auf seinen Mundwinkel zu platzieren. Auf seine Wange. Auf jedes seiner geschlossenen Lider. Seine Hände verharrten zu Fäusten verkrampft an seinen Seiten. Ein Teil von ihm sehnte sich nach dieser Nähe, indes wagte er nicht, sie zu berühren.
»Bitte«, wisperte sie, ihre Wange an seine geschmiegt. »Bitte, du brauchst dich nicht zu schämen. Und sei nicht böse mit mir, das vermag ich nicht zu ertragen. Es tut mir unendlich leid. Ich war ein törichtes Mädchen mit törichten Jungmädchenträumen. Ich wollte dir doch bloß nahe sein, ganz gleich auf welche Weise.«
Sie küsste seine Lippen. Plötzliches Verlangen überflutete seine Lenden.
»Rhys«, flüsterte sie und schlang ihre Arme um seinen Nacken. »Ich konnte nicht anders. Es verhielt sich genau wie in der Legende. Du warst so ausnehmend anziehend.«
Sie lehnte ihre Stirn an sein Kinn. Er fühlte, wie ihr Atem seinen Adamsapfel streifte. Schnell und heiß, als wäre sie furchtsam, erregt oder beides. Er für seinen Teil war nachweislich beides. Seine Brust hob und senkte sich mit jedem zerrissenen Keuchen.
Er wähnte sich seiner letzten Geheimnisse beraubt. Seiner sämtlichen Selbstschutzmechanismen. Er hatte nichts, bis auf jenen aushöhlenden, fortwährenden, bleiernen Schmerz, der ihn, so lange er denken konnte, begleitete. Eine endlose Treppenflucht, die sich tiefer und tiefer durch sein Innerstes schwang, bis ganz nach unten, auf den kalten dunklen Grund seiner Seele. Nun hatte er endlich den
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