Zwei sündige Herzen: Roman (German Edition)
herumspuken sollte? Hier gab es nichts, was ihn in Angst und Schrecken versetzen konnte, nicht mehr jedenfalls.
Wider alle Vernunft wurde er von einem plötzlichen Schwindelgefühl übermannt. Um nicht zu taumeln, legte er Halt suchend eine Hand auf das bröckelnde Mauerwerk und schloss die Augen.
Je stärker der Wind blies und heulend durch den Flur hallte, desto deutlicher spürte er, wie es ihm durch Mark und Bein ging. Seine Nackenhaare stellten sich auf. Er vernahm das Echo der Rufe seines Vaters, das haltlose Schluchzen seiner Mutter, seine eigenen gequälten Schreie. Und jene Pferde … Gott, die angstvoll schnaubenden Pferde. Übelkeit breitete sich in seiner Magengrube aus.
Genug davon. Genug von jenen geheimnisumwitterten Pixi-Lichtern.
Er drehte sich auf dem Stiefelabsatz um und eilte zurück durch den Gang. Irgendwann geriet sein entschlossener Schritt ins Wanken. Er stolperte über denselben Stein wie beim Hinweg, doch dieses Mal legte er sich der Länge nach hin. Seine Knie streiften Geröll, Mörtel grub sich unter seine Fingernägel.
Steh auf, befahl die Stimme in ihm. Auf die Füße, du Nichtsnutz.
Wie noch jedes Mal gehorchte er. Er rappelte sich auf und rannte weiter zum Ende des Ganges. Erst als er ins Freie gelangte, wurde er langsamer. Er sank vornüber, die Hände auf die Knie gestützt, und zog die neblige Moorluft in tiefen Zügen in seine Lunge. Warum zum Teufel war er überhaupt wieder an diesen grauenhaften Ort zurückgekehrt?
Ein lautes Scheppern hinter ihm ließ ihn zusammenfahren.
»Wer ist da?«, rief er mit Nachdruck aus und wirbelte herum. »Wer ist da?«
Keine Antwort. Keine Lichter. Kein Luftzug mehr, so schien es.
Lediglich ein kurzer, harter Schlag auf seinen Hinterkopf.
Die Nacht hatte mit einem Mal zigtausend Sterne.
Der alte Bastard ließ nicht von ihm ab, selbst als Rhys auf dem felsigen Boden zusammensackte. Hoch mit dir. Steh auf. Steh auf und hol dir noch eine, du missratener Sohn einer Hure.
Als er in die Tiefen der Bewusstlosigkeit eintauchte, verlor sich die Stimme, gottlob. Und auch die weiß glitzernden Sterne hinter seinen Augenlidern verblassten.
Das Three Hounds erfreute sich eines weiteren einträglichen Abends. Meredith lächelte zufrieden, denn die Schänke war bis zum letzten Platz gefüllt. Die Männer hatten heute einen Teil des neuen Anbaus an ihrem Gasthof fertiggestellt, Rhys hatte ihnen die wöchentlichen Löhne ausgezahlt, und morgen war Sonntag, ein Tag zum Ausruhen. Alle waren guter Dinge. Dank Cora hinter dem Bartresen floss der Alkohol in Strömen.
Cora lachte eben über irgendeinen Scherz, den einer der Männer zum Besten gab. Zwar hatte sie Meredith den Rücken zugewandt, und es war entschieden zu laut, um Gesprächsfetzen aufzufangen, doch hüpften die blonden Locken, die sich aus ihrem Dutt ringelten, fröhlich auf und ab.
Umso besser. Meredith war sehr angetan von ihrer neuen Bedienung, denn die Anstellung des Mädchens zahlte sich für sie aus. Cora mochte vielleicht ein wenig kindlich und verträumt sein, gleichwohl hatte sie ein erstaunlich gutes Zahlenverständnis und bestach durch ihre herzliche Freundlichkeit gegenüber den durchreisenden Gästen.
In der Tat hatte sie ein gewisses Händchen für Männer.
Cora besaß ein weiches feminines Wesen, das auf jedes Paar Hosen im näheren Umkreis wie ein Magnet wirkte. Selbst Meredith wurde von ihr in Bann gezogen und überlegte, was das Mädchen wohl an sich hatte. Es war nicht allein ihr hübsches Gesicht. Nein, es war diese Aura von Begeisterungsfähigkeit und Empathie, die sie gemeinhin ausstrahlte. Es erweckte den Anschein, als fasste sie jedes Wort, das ein Mann in ihrer Gegenwart sprach, als das faszinierendste Stückchen Information auf, das der Menschheit seit den Zehn Geboten zugekommen war; sie begrüßte die Neuigkeit mit großen, runden Augen unter fein geschwungenen, aschblonden Brauen und – noch wesentlicher – mit einem erstaunlichen, weiblichen Interesse.
Es war eine Begabung, fürwahr. Eine, die Meredith völlig fehlte. Cora selbst schien glücklich über die Entdeckung, dass sie mit diesem Talent mehr Anklang fand als mit ihren käuflichen Liebesdiensten.
Einige disharmonische Takte Musik wehten durch die Schankstube. Als sie sich auf den Weg zur Theke machte, erspähte Meredith in einer Ecke Darryl, der mit mehr Begeisterung als Begabung auf seiner Fiedel herumsägte.
Musik, Freundschaften, Fröhlichkeit, Trinken, Tändeln – das Three Hounds war in
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