Zwei Toechter auf Pump
Treppen hinunter. Die Trambahn, die Menschen — Straßen — es war wie ein Traum, ein häßlicher Traum. Dann das Krankenhaus, Gänge mit vielen Türen, Linoleumboden, eine Schwester, die leise sprach und mich bat, ihn nicht aufzuregen. Er hatte ein Einzelzimmer und viele, viele Blumen. Aber er — war das Kurt? Diese gelbe Haut, diese riesigen Augen, dieser wissende, alte Ausdruck im Gesicht —. Er winkte mir mühsam zu: >Komm mir nicht zu nah!<
>Kurt!<
Er warf einen Blick zur Seite, dort lag ein dickes Bündel Papiere. Darauf mit Rotstift: >Das Leid.< Er hustete. Als der Anfall vorüber war, flüsterte er: >Pech, Hannes. Es ist beinahe fertig. Ich schenk’ dir’s. Vielleicht — wenn du mal sehr viel Geld hast — du könntest es vielleicht zu Ende schreiben und... und drucken lassen! Und — heul bloß nicht, hörst du! Heul nicht, es ist gar nicht schlimm. <
>Aber du wirst sicher wieder...<
>Unsinn.<
Die großen, glänzenden Augen wichen nicht einen Moment von mir: >Ich danke dir auch noch...<
>Wofür denn?< stammelte ich, während es wieder in meiner Kehle würgte.
Abermals ein Hustenanfall, und dann lächelte er mich an und sah ganz jung aus, so — gespenstisch jung.
>Ich danke dir<, sagte er, >daß du den anderen nie was erzählt hast von dem Hausschlüssel...<
>Na, das war doch selbstverständlich!<
>Nein, nein — das war es gar nicht. Das wäre eine großartige Anekdote für dich gewesen zum Weitererzählen. Aber so haben sie mich für einen tollen Kerl gehalten — bis — zum — bis zum Schluß.< Er hustete erbärmlich, fing sich aber wieder. Sein Lächeln war etwas verblichen, aber immer noch deutlich: >Ich hätt’s ja gern erlebt, wie das ist — so in Wirklichkeit, mit einer Frau. Aber vielleicht ist es gar nicht so schön, wie ich es mir vorgestellt hatte. Vielleicht ist’s gut so — wie es gekommen ist.< Er sah mich lange an, und mir war, als triebe sein Gesicht dabei von mir fort, in unendliche Ferne. >Du wirst es ja erleben. Und wenn’s die Richtige ist — halt sie fest!<
Die Schwester sah zur Tür herein: >Sie müssen jetzt gehen!<
>Ich komm’ morgen wieder!< sagte ich.
>Nimm das Buch mit.<
>Aber das kann doch noch...<
>Nimm das Buch mit!«
>Na schön. Also — bis morgen!<
>Leb wohl!< Er winkte mir nach.
In dieser Nacht starb er...«
Ich fahre zusammen. Susanne lacht hysterisch, mit aufgerissenen Augen und zuckendem Mund. Sie reißt ihrer Schwester das Taschentuch aus der Hand, schnaubt sich gewaltig — und dann kommen ihr die Tränen und laufen ihr die Wangen hinunter, als seien zwei Wasserhähne aufgedreht worden. Ihre Schultern zucken.
»Du erzählst aber den Kindern auch Geschichten!« sagt die Mama empört. »Du bringst sie ja völlig durcheinander mit diesen schaurigen Sachen!«
»Wieso«, murmelte ich, »da, nimm lieber mein Taschentuch, Susanne. Es ist ja schon so lange vorbei...«
Die Mama sieht mich noch immer an: »Das hast du mir noch nie so erzählt, so im Zusammenhang. Ich meine — so, wie du das empfunden hast. Damals, als du aus dem Krankenhaus kamst, hast du dich eingeschlossen bis in die Nacht. Das weiß ich noch...« Sie reißt sich zusammen: »Jetzt werde ich mal eine Geschichte erzählen.«
Margot schielt verstohlen auf ihre Uhr.
»Ist deine Geschichte auch so traurig?« schluchzt Susanne.
»Nein, die ist lustig.«
»Wann spielt sie denn?« fragt Margot.
»Als meine jüngere Schwester Braut war.«
»Braut?« rufen beide im Chor, und ihre Augen glitzern. Susanne schnieft entschlossen durch die Nase und gibt ihrer Schwester das Tuch zurück. Ich bin ärgerlich. Natürlich, wenn eine Braut auftaucht, sind sie Feuer und Fett, die Gören. Tut mir eigentlich leid, daß ich ihnen die beiden Sachen erzählt habe von Steffi und Erika.
Etwas schiebt sich in meine Hand, eine dicke Pfote. Als habe er meine Enttäuschung gefühlt, der Cocki. Seine goldenen Augen sehen mich liebeheischend an. Ich streiche über seine glatte Stirn: >Hast recht, Dicker<, sage ich in mich hinein, >wir Hunde sind doch bessere Menschen.< Jetzt möchte ich bloß wissen, was das für eine lustige Geschichte aus der Brautzeit ist, die das Mulleken da verzapfen will.
»Wie alt warst du denn damals?« fragt Margot gerade.
»Fünfundzwanzig«, sagt die Mama.
Susanne ist ganz erschrocken: »Fünfundzwanzig? Wie alt warst du denn dann, als du geheiratet hast?«
»Achtundzwanzig!« erklärt die Mama und richtet sich auf. »Wie du siehst, hat es mir nicht geschadet, daß
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