Zwei Toechter und drei Hunde
ihrer seltenen Zärtlichkeitsausbrüche über das Haar: »Na, jedenfalls hast du’s geschafft, alter Junge, und kannst in Ruhe morgen feiern. Du hast dich weiß Gott genug aufgerebbelt für andere.«
»Aufgerebbelt — hm — wieso morgen feiern?«
Die beiden sehen sich an: »Ach, nichts Besonderes weiter«, sagt Frauchen. »Es ist nur dein Geburtstag.«
»Mein...« Und plötzlich ist es wieder vor mir, das schmale Gesicht mit den goldenen Augen und den langen Ohren. Eine wilde Entschlossenheit überkommt mich, oder ist es ein Wissen, ein geheimnisvolles...
»Ich muß gleich mal wegfahren«, erkläre ich den beiden völlig Verblüfften. »Sagt ihr netterweise Marc Bescheid über Stefanies Anruf.«
In Frauchens Gesicht steht jähe Besorgnis: »Soll ich nicht mitfahren?«
»Nein. Nein, danke, das kann nur ich allein.«
Als ich Gas gebe, ist mir ganz feierlich zumute. Es hat immer wieder von Zeit zu Zeit hellseherische Augenblicke in meinem Leben gegeben, Empfindungen kommender Ereignisse, die mir noch nicht ihr Gesicht zeigten. Ich wußte nur mit atembeklemmender Sicherheit, daß etwas kommen würde, etwas Gutes oder Böses, und es kam dann auch stets. Meist Böses und hageldick. Und deshalb liebe ich solche Momente gar nicht.
Heute bin ich wieder in einer dieser Stimmungen, aber diesmal hat sie nichts Böses an sich. Es ist, wie gesagt, eine Feierlichkeit, eine feierliche, von innen erhellte Gewißheit, jenseits aller Vernunft.
Aus dieser Stimmung sehe ich unser Dorf, als erblickte ich es zum erstenmal. Man könnte auch sagen, wie eine Fotografie, die man sonst normal und jetzt plötzlich stereographisch sieht, überdeutlich. Da steht der Reiserer-Franz, der Rolle des Boxer-Verlobten entbunden, auf dem Hausdach seiner Mutter, der Schusterswitwe, und mauert. Sein bronzener, schwitzender Körper glänzt in der Sonne mit grellen Spiegeln. Die Millionärin Lindemann huscht gerade vom Metzger heraus wie ein kleines scheues Vögelchen, sie trägt ein winziges Fleischpaket vorsichtig vor sich her. Auf der Bank vor dem Fischerhaus sitzt der Förster Jonas. Er ist achtzig und seit fünfzehn Jahren pensioniert, aber noch immer geht er in Förster-Paradeuniform, knallblauen Auges, den Hut mit dem Gamsbart und vielen Erinnerungsschildchen geziert. Er sieht aus wie das Männlein im Wetterhäuschen.
Nun bin ich schon außerhalb des Ortes. Das große Geviert des Feldkrug unter seinen riesigen Eichen rollt langsam vorbei. Die beiden großen Scheunen und das Gästehaus haben vor lauter Alter richtige Bäuche, und an einigen Fenstern gibt es noch bleigefaßte Butzenscheiben. Ja, sie ist nun auch schon tot, die alte Krug-Wirtin, die mit ihrem halbblinden, wortkargen Sohn bis zuletzt den >Krug< führte. Sie hatte ihn gepachtet, vor fünfzig Jahren, von der Biedersteiner Brauerei und dem alten Hechler, der damals genauso in den besten Jahren war wie sie. Muß ein tolles Weib gewesen sein, die Krug-Wirtin, ein bildschönes, wildes Wesen, das einen geduldigen, braven Gastwirt geheiratet hatte, der mehr Knecht als Wirt war. Man fürchtete sie etwas, die Krug-Wirtin. Den erdverbundenen Menschen hier draußen war das Dämonische in ihr deutlich fühlbar. Wenn am Samstagabend Regen einsetzte und ihr das Sonntagsgeschäft wegzuschwemmen drohte, hatte man sie schon in Nachtjacke und mit offenem, rabenschwarzem Haar, das ihr bis auf die Knie wallte, im Hof stehen und die Fäuste gegen die schwerbäuchigen, blitzdurchzuckten Wolken schütteln sehen. In ihrem Alter ging der Feldkrug dann immer schlechter, und es war immer wieder die Rede davon, daß der Hechler die Pacht aufkündigen und ein Hotel dorthin bauen werde. Besonders seine beiden Söhne wollten das. Der Alte aber weigerte sich und blieb unbeugsam. Solange die Krug-Wirtin lebe, werde er sie auch in der Pacht lassen. Niemand weiß, was dahintersteckte. Eine alte Romanze?
Vor zwei Jahren, kurz vor der Krug-Wirtin, ist der alte Hechler gestorben, und jedermann dachte, nun geht’s los. Aber da gerade geriet die Brauerei in Schwierigkeiten. Irgendeine Großbrauerei war in ihr Gebiet eingedrungen, und jeder Pfennig wurde gebraucht, um den Konkurrenzkampf durchzustehen. Es war, als hielte der alte Hechler noch von drüben seine Hand über der Krug-Wirtin. Jedenfalls rettete sie das, und der Krug lebt auch jetzt noch, obwohl es in seinen oberen Stockwerken schon durch die Decken regnet und der halbblinde Sohn mit einer Magd nach dem Tod der Mutter kaum noch etwas zuwege bringt. Ich
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