Zwei Toechter und drei Hunde
denke mir, eines Tages kracht das einfach zusammen und begräbt alles unter sich. Man geht noch manchmal hin, aus Sentimentalität und Mitleid, ich tu’s auch. Und hin und wieder tagt sogar der Schützenverein dort, und dann legen alle Schützen mit Hand an, damit’s geht.
Die Felder zur Rechten und Linken sind abgeerntet. Aber der letzte Heuschnitt, der dritte in diesem Jahr, ist noch in Puppen draußen. Es riecht nach Heu und Brot und warmer Erde wie im Hochsommer, die Grillen zirpen noch, und die Holunderbeeren sind schon ganz schwarz. Scharen von Vögeln hocken auf ihren Dolden. Ein paar Rehe jetzt zur Linken, die gemütlich äsend dem Wagen nachsehen. Ein Wiesel wie ein roter Blitz über den Weg, ein Krähenschwarm in der klaren Luft. Nun die Kurve mit dem Steinbruch, und da liegt es schon in seinen Matten, rund um den altersgrauen Kirchturm hingekuschelt, das andere Dorf, Cockis Dorf. Erst ein paar Scheunen, dann der Zenz-Wirt, ein paar späte Sommergäste älteren Datums sitzen noch draußen im Garten mit den Dahlien, und durch die Fenster sieht man in die blitzsaubere Gaststube. Jetzt rechts und links Höfe, auf der linken Seite muß er sein — da, der Misthaufen, wie mit dem Lineal gezogen. Das ist er, der Reschke-Hof. Alles ist hier ordentlich, auch das Holz, das um drei Hauswände herum aufgestapelt ist, keines länger als das andere und oben schön sauber mit Dachpappe abgedeckt. Gerade kommt der Bauer heraus, hat eben seinen Bulldog über Mittag in die Scheune gefahren. Sein Hemd ist wieder blütenweiß, obwohl er doch sicher vom Feld kommt, und der ganze Mann strahlt jene gesunde Sauberkeit aus, die mir schon beim vorigenmal auffiel. Mein Herz schlägt plötzlich bis zum Hals, und der ganze Wahnwitz meines Unternehmens wird mir bewußt. Was will ich ihm denn sagen, nachdem ich doch schon einmal so eindeutig abgewiesen worden bin!
Trotzdem tritt mein Fuß die Bremse, und während ich noch zweifelnd und im Sturm meiner Gefühle hin- und hergeschleudert sitze, biegt es um die Ecke, mit langen Ohren, schmalem Gesicht und grinsender Nase, darunter die krummen Watschelbeine mit den langen Behängen: Cocki alias Wastl. Er stutzt und ist dann mit einem Satz brüllend an meinem Wagen, springt fast über das Dach, und bei jedem Sprung, wenn er an meinem Fenster vorbei aufwärts fliegt, trifft mich ein fast irrer verlangender Blick aus seinen goldenen Augen. Ich steige aus und umarme ihn. Dann ist über mir ein Schatten, und während sich der Hund in meinen Armen zitternd dreht und windet und mein Gesicht leckt, sagt die Stimme des Bauern: »Ja mei, das ist jetzt spaßig! Die ganzen letzten Tage haben wir von Ihnen geredet, wir wollten schon ‘rüberfahren zu Ihnen.« Und dann fügt er etwas hinzu, was mich durchfährt, als hätte ich eine Starkstromleitung berührt: »Jetzt können Sie ihn haben, den Wastl, wenn. Sie noch wollen, mein’ ich!«
Es drückt mich glatt auf die Erde, und ich sehe ihn verstört an: »Was sagen Sie?«
Er nimmt den breitrandigen Strohhut ab, grinst und kratzt sich den Kopf: »Ja, wissen Sie, das ist so: unsere Kinder, die haben ihn halt gedrückt und gezwickt, nicht, weil sie böse sind, bloß so, wie Kinder eben sind. Und das hat ihm weh getan, dem Wastl, und er hat geschnappt nach ihnen und hat s’ halt gebissen. Und ich mußte ihn schlagen, wegen der Kinder. Er hat’s aber gespürt, daß er’s eigentlich nicht verdient hätt’, und hat dann auch nach mir geschnappt. Die Weibersleut’ haben geheult, und dann haben wir halt so geredet und studiert und haben gemeint, wir geben ihn eben doch dem Herrn, der wo das Buch geschrieben hat. Ja — also — wenn Sie noch mögen...«
Jetzt kommt auch die Frau aus dem Haus, und wie sie uns so sieht, laufen ihr gleich die Tränen herunter: »Die ganze letzte Zeit haben wir ihn schon Cocki gerufen«, sagt sie, »weil wir uns gedacht haben, daß Sie ihn wieder Cocki nennen werden, nach dem Cocki in Ihrem Buch!«
»Ja«, sagte ich, »ja, natürlich...« Und dann merke ich, daß ich mitten in der Einfahrt sitze, auf dem Boden und ganz dicht neben einem Kuhfladen. Langsam stehe ich auf, die Glieder sind mir schwer. Die Frau hat die Schürze vor den Augen: »So ein liebes Hunderl, so ein liebes! Aber es geht halt nicht mehr, wegen der Kinder! Am besten wär’s, Sie würden ihn gleich mitnehmen!«
Gleich mitnehmen — gleich mitnehmen... Ich kann es noch gar nicht fassen. Ich ziehe die Brieftasche heraus und zahle. Unentwegt starren wir
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