Zwei Toechter und drei Hunde
scheuchen. Immer wieder hebt er die Nase und saugt den Duft ein — nach Tier riecht es nicht, aber vielleicht ist es doch etwas Böses. Ich bin von dieser klugen Feigheit — oder feigen Klugheit, wie man es nennen will — so fasziniert, daß ich sogar vergesse, ihn wegen seiner nächtlichen Ruhestörung zu beschimpfen. Als er merkt, daß ich hinter ihm stehe, wird er mutiger, wenn auch nur etwas. Das heißt, er kriecht, unentwegt weiterblökend, auf dem Bauch an das Gerät heran, bis er mit der Nase draufstößt und sich endlich überzeugt, daß es ein totes Ding ist. Dann richtet er sich auf, hebt verächtlich das Bein daran und trabt weiter. Die Grillen ringsum, die unter Cockis Gebrüll verstummt waren, setzen ihr Konzert fort. Ober mir der weiße Staub der Milchstraße, der Wagen, der helle Schein der Venus.
Interessant, diese Charakterstudien, die man an Cocki machen kann, sage ich mir. Ausgeprägtes Ehrgefühl, gutes Erinnerungsvermögen, hohe Intelligenz, an Feigheit grenzende Vorsicht. Dazu gutmütige Verspieltheit und feines Taktgefühl, wie sein Benehmen gegenüber Weffchen und Peter zeigt. Er hat sofort herausgefunden, wo seine Stellung zwischen den beiden ist.
In diesem Augenblick bricht irgendwo vor mir an der Hecke der Mooshuberin das ungewöhnliche und entzückende Tier in neues Gebrüll aus. Es hat die Igelfamilie aufgestöbert, die dort haust und ihren Abendspaziergang macht. Ich leuchte mit der Taschenlampe, und da ist sie, die ganze Kolonne. Vater vorneweg, dann die vier Jungen und Mutter als Nachhut. Alle sechs sind zu Stachelkugeln erstarrt, die beiden Alten fauchen und tuckern wütend. Ich nehme den Dicken rasch an die Leine, denn Igel — so lieb sie sind und so nützlich — haben, wie ich weiß, einen Nachteil: sie wimmeln von großen braunen Flöhen, die um die Stacheln herum Fangen spielen.
Daheim ist schon alles beim Zubettgehen. Weffi und Peterle sind in Frauchens Zimmer verstaut, Weffi in seinem Sessel vor dem Frisiertisch, Peter am Fußende vom Bett. Der Dicke bleibt unschlüssig in der Diele stehen. An sich möchte er die Treppe hinauf zum ersten Stock, wo die Mama schläft. Das ist er so gewohnt, weil er bei den Reschkes zuletzt immer bei den Großeltern geschlafen hat, die oben wohnen. Andererseits möchte er bei mir bleiben, und er entscheidet sich für das letztere. Als ich aus dem Bad komme, hat er es sich auf meinem Kopfkissen bequem gemacht. Wie er mich sieht, setzt er sich auf, grinst mich an und beginnt sich dann wie wild am Bauch zu kratzen. Offenbar haben ein paar Weitsprungmeister der Igelbesatzung ihn doch geentert. Ich feuere ihn aus dem Bett: »Nein, mein Guter, das geht nicht.«
Plötzlich ist die Mama im Schlafrock und mit eingerollten Löckchen da: »Wo soll er denn schlafen?«
»Jedenfalls nicht bei mir im Bett. Vielleicht hier nebenan, in der Bibliothek. Aber wahrscheinlich schnarcht er.«
»Dann könnte er ja bei mir schlafen.«
»Kommt nicht in Frage, Schloßgeist. Mit dem wirst du nicht fertig.«
Jetzt erscheint auch Frauchen: »Wir legen ihn am besten in die Diele, unter deinen Mantel. Wir haben doch noch dieses alte Polster, das legen wir ihm hin, als sein Körbchen.«
Das Polster findet sich und wird von dem sehr unwilligen Cocki ausgiebig berochen, während die gesamte Familie sich mit >ei, wie fein!< und >braves Hündchen!< bemüht, es ihm schmackhaft zu machen. Schließlich geruht er, sich brummend darauf niederzulassen. Mir wirft er noch einen verächtlichen Blick zu, legt dann den Kopf zwischen die Pfoten und stößt den ersten Schnarcher aus. Die Familie verzieht sich erleichtert in ihre Betten.
17
Ich erwache bei strahlendem Sonnenschein, der durch die Läden ein lichtes Balkenmuster an die Wände und über meine Decke malt. Anscheinend wird es wieder einer jener abnorm heißen Herbsttage, wie wir sie die ganze letzte Zeit hindurch hatten. Dann fällt mir ein, daß ich Geburtstag habe. Früher war das ein Tag, dem man über Wochen fiebernd entgegensah, wobei man sich vor allem fragte, was man wohl geschenkt bekommen würde. Später waren die Geschenke nicht mehr so wichtig, man freute sich auf die Glückwünsche und die Geselligkeit, und jetzt ist es soweit, daß man schon ein klein bißl beklommen ist über die rasende Flucht der Jahre.
Ich sehe auf die Uhr: es ist erst halb sieben, eine Weile muß ich mich also noch ruhig verhalten, damit ich den Haushalt nicht auf störe. — Ja, also beklommen. Aber eigentlich ist das undankbar, sehr
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