Zwei Wochen danach (German Edition)
denken muss. Sie sind ihm so ähnlich. Von Heike haben sie gar nicht viel. Äußerlich nicht. Besonders Pit. Als er kaum ein Jahr alt war und Sebastians Mutter verstarb, haben sie sich die Bilder aus Sebastians Kindheit angesehen. Es war das gleiche Lachen und der gleiche Charme. Charme, den man bei so einem kleinen Menschen noch gar nicht vermutet.
Kein Wunder, dass ihn die dreijährigen Mädchen in der Kinderkrippe so vergöttern.
Heike spürt, wie etwas auf ihrer Seele liegt. Etwas, was ihr den Weg nach oben versperrt. Weinen kann sie nicht.
Doch sie ergötzt sich an den Erinnerungen. Kann im Moment nicht genug davon bekommen.
Es muss so weitergehen. Das erste Mal nach Sebastians Tod denkt sie an die Zukunft. Daran, wie sie Pit in die Kinderkrippe bringt und in die Klinik geht. Wie sie alle ansehen und freundlich grüßen.
Das erste Mal sieht sie wieder sich. Sich und die Kinder.
Sie ist müde geworden. Sie hat das Bedürfnis, sich hinzulegen, es ist ja noch Zeit.
Sachte kniet sie sich auf das Bett und lockert ihr Kopfkissen, damit es atmen kann.
***
(Nicole)
Die Schwester kommt hinein und fragt mich, ob es mir etwas ausmachen würde, einen Moment draußen zu warten, bis die Visite durch ist.
Ich nehme meine Tasche vom Stuhl und hänge sie mir über die Schulter. „Wo ist eigentlich der Motorradfahrer?“, frage ich. Der neue Patient war mir gleich heute Morgen aufgefallen.
„Den haben wir verlegt“, antwortet die Schwester knapp.
Erleichtert fasse ich an meine Brust. So ein junges Leben.
Ich hole mir unten einen Kaffee und setze mich vor die Station. Etwa zwei Stunden war ich bei Ralph. Heute ist der große Tag. Ich merke, dass ich mich gar nicht richtig freuen kann.
Der Gedanke ist schlimm, aber nicht schlimm genug, dass ich nicht über andere Dinge nachdenke.
Was, wenn Ralph schuld war an dem Zusammenprall. Oder wenn die Frau des Piloten es denkt?
Würden sie es jemals herausfinden können?
Ich kann mir das nicht vorstellen. Das Flugzeug des Piloten ist vollständig zerstört und das Navigationssystem so stark beschädigt, dass keine Flugwegdaten ausgelesen werden konnten.
Das hat mir der Mann von Sebastian Awes Verein gestern gesagt, als er mich auf dem Handy angerufen hat.
Es sind ja auch Augenzeugen dabei gewesen. Aber ob die einschätzen können, warum es passiert ist?
Ich bin froh, dass ich nicht dabei war. Schon lange bin ich nicht mehr mitgefahren.
Das letzte Mal vor drei Jahren etwa, als Ralph das neue Flugzeug gekauft hat.
Das Segelflugzeug, welches jetzt mit beschädigtem Rumpf und defekter Elektrik in der Halle steht.
Es konnte auch allein starten. Susanne und Raphael wollten es damals unbedingt sehen.
Die ganze Zeit habe ich Angst gehabt. Angst, als die landenden Segler zum Anfassen nahe über dem Weg geflogen sind. Angst, als bei einem die Seilwinde schon kurz nach dem Start ausgelöst hat und alle Leute dachten, er würde jetzt abstürzen. Und Angst, als Ralph in dieses funkelnagelneue Flugzeug gestiegen ist.
Nur gut, dass Raphael kein Interesse am Fliegen zeigt. Und das Ralph zu altmodisch und von Vorurteilen geprägt ist, um seine Tochter dafür zu begeistern. Susi hätte sich schon begeistern lassen, da bin ich mir sicher.
Vielleicht gab es aber auch ein unausgesprochenes Abkommen zwischen Joachim und Ralph:
Du ja, aber um Himmels willen nicht die Kinder.
Ich schütte den restlichen, kalt gewordenen Kaffee ins Waschbecken, als ich wieder ins Zimmer darf.
Dann frage ich mich, warum ich überhaupt gewartet habe.
Ist das alles schon Routine?
Ist am Ende alles nur Routine?
Ralph schläft noch.
Ich stelle das Foto, was ich mitgebracht habe, in seinem silbernen Rahmen neben ihm auf. Renate hat die Idee gehabt. Falls doch keiner da ist, wenn er wach wird.
Ich blicke das Foto an und sehe einen attraktiven Mann, eine Frau, die aussieht, als wüsste sie nicht, was sie will und zwei Kinder, die fast keine Kinder mehr sind.
Susanne braungebrannt und schön.
Raphael mit nacktem Oberkörper und Flip Flops an den Füßen, den Unterleib mit seiner olivgrünen Shorts bedeckt.
In diesem Outfit hat er sämtlichen Mädels am Hotelpool den Kopf verdreht.
Es ruft ein paar Erinnerungen in mir wach, das Foto. Doch ich kann den Gedanken nicht zu Ende denken, denn es klopft an der Tür und eine junge Schwester kommt herein. „Frau Karstenberger?“
Ich nicke.
„Zwei Kollegen ihres Mannes sind draußen.“
Ich laufe der Schwester hinterher.
Sie hält uns die Tür
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