Zwei Wochen danach (German Edition)
geöffnet und ich reiche den beiden Herren die Hand.
„Professor Ullrich. Wir kommen vom Fachbereich Physik.“
Den anderen erkenne ich. Ich glaube, er war schon als Assistent am Institut. Er hält mir einen großen Strauß bunte Tulpen entgegen, zusammen mit einer Karte.
„Kommen Sie doch rein! Ich wollte gerade gehen“, sage ich schnell und bin selbst überrascht.
Irgendwie freue ich mich, dass ich Ablösung gefunden habe. Ich gehe mit den beiden Männern in Ralphs Zimmer und erzähle ihnen, dass Ralph jetzt keine Medikamente mehr bekommt, dass ich einen Arzttermin habe und Ralphs Eltern sicher auch gleich kommen werden.
Dann hole ich eine Vase und denke mir: Was für ein Glück sie haben, dass Ralph den Blumenstrauß auch sehen wird.
Ich weiß nicht genau, was mich zu diesem Übermut antreibt. Vielleicht ist es wirklich die Freude darüber, dass Ralph aufwachen wird. Aber eines weiß ich jedenfalls: Je eher ich zu Hause bin, umso eher kann ich am Nachmittag weg.
Und ich will heute auf jeden Fall noch zu der Frau des Piloten!
***
(Heike)
Als Heike aufwacht, sind die schönen Gefühle der Erinnerung weg. Ersetzt durch Angst. Angst vor der Trauerfeier, Angst vor ihren Kindern, Angst vor einem Leben allein.
Sie wird es nicht schaffen. Sie muss das Haus verkaufen und wer weiß, ob sie genug für sich und die Kinder verdienen kann.
Was, wenn sie gezwungen wäre, in die Nähe ihrer Eltern zu ziehen? Weg von hier, von ihren Kollegen und Freunden.
Ob sie in der Provinz überhaupt Arbeit finden kann? Gut, Krankenhäuser gibt es überall, aber ...
Heike kann sich das alles nicht vorstellen. Sie weiß, dass das eine nicht funktionieren wird und dass sie das andere nicht will.
Und das Schlimme ist, sie sieht keine Alternativen.
Niedergeschlagen geht sie ins Bad hinüber, duscht und zieht sich an.
Wie spät ist es eigentlich? Veronika scheint nicht da zu sein. Es ist still im Haus. Totenstill.
Als sie nach unten kommt, stellt sie das Radio an, sie hält es sonst nicht aus.
Ein Zettel von Veronika liegt auf dem Tisch. Daneben Zeitungen und eine Postkarte. Heike dreht sie um. Kerstin und Klaus senden Grüße von Mauritius.
Sie wissen es noch gar nicht, denkt Heike.
Sie liegen in der Sonne und ahnen nichts davon.
***
(Nicole)
Ich suche mir einen Parkplatz, der mir ermöglicht, im Auto sitzen zu bleiben und gut die Straße einsehen zu können. Ich weiß noch nicht, ob ich klingeln werde. Obwohl ich es mir fest vorgenommen habe, verlässt mich jetzt der Mut.
Trotzdem. Allein hier zu sein, wo sich das Leben der Familie abspielt, die unserem Schicksal so nahe ist. Das reicht mir.
Ich steige aus und laufe die Häuserreihen ab, um zu sehen, wo die 28 ist. Ein unscheinbares Haus, der kleine Vorgarten mit Ostereiern geschmückt. Ich gehe ein Stück weiter, um auf dem Rückweg noch einmal vorbeilaufen zu können. Dann steige ich wieder ins Auto und rufe Raphael an.
Renate und Joachim haben sich noch nicht gemeldet.
Ein Auto fährt hinter mir vorbei und biegt in die kleine Privatstraße ein. Ein dunkelroter Passat mit Tölzer Kennzeichen. Schnell stecke ich das Handy weg.
***
(Heike)
Noch vorhin hat Heike überlegt, ob sie sich ein Osterei schälen soll. Die Schüssel, die ihre Mutter auf den Tisch gestellt hat, steht immer noch da. Die mit kleinen Osterabziehbildchen verzierten Eier erinnern sie an ihre Kindheit. Doch irgendwie ist ihr der Appetit vergangen.
Heike geht in die Küche und sieht auf die Uhr. Sie hört ein Auto, schaut aus dem Fenster und erkennt den VW ihres Vaters.
***
(Kristel)
Beide sind im Auto eingeschlafen. Marcus gleich und Pit erst kurz vor München.
Als Ludwig den Motor abgestellt hat, wartet er einen Moment, ob sie aufwachen.
Pit streckt seine Beinchen breit auseinander, dreht den Kopf auf die andere Seite, blinzelt kurz und schläft weiter.
Kristel sieht Ludwig an.
„Ich trage sie ins Haus“, sagt er.
***
(Heike)
Heike hat die Tür schon geöffnet, als ihr Vater Pit hereinträgt. Er legt ihn in seinem Bettchen ab und küsst Heike flüchtig auf die Wange, als er wieder nach draußen geht.
„Marcus schläft auch“, sagt er.
Heike bleibt an der Tür. Sie schaut nicht nach Pit, wartet nur darauf, dass ihr Vater Marcus hereinbringt.
***
(Nicole)
Eine Weile hat das Auto nur dagestanden. Dann hat ein Mann ein kleines Kind ins Haus getragen.
Schnell steige ich aus, um besser sehen zu können. Der Mann ist zum Auto zurückgegangen
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