Zweibeiner sehen dich an
in die Schublade zurückzulegen. Also trank er sie aus. Anschließend lehnte er sich zurück, wischte sich den Mund ab und warf die leere Pulle in den Papierkorb. Klack.
Als er sich aufrichtete, drehte sich plötzlich der Schreibtisch und Shoemaker sah sich gezwungen, sich mit der flachen Hand darauf zu stützen. Er drehte sich, atmete tief ein und aus und fühlte, wie sein Atem rasselte. Er war noch nicht zu betrunken, um nicht mehr gehen zu können, Gott sei Dank. Als er sich zur Tür wandte, stieß er sie nur kurz mit der Schulter an, bevor er ihre Schwelle überschritt.
Im nächsten Büro saß der junge Rob Gilmore in einem sauberen weißen Hemd, mit einer vortrefflich sitzenden Krawatte und einer Pfeife im Mund. Gelegentlich stieß er blaue Rauchkringel von sich, wobei er gewissenhaft auf seine Schreibmaschine sah und so tat, als würde er Shoemaker nicht sehen. Shoemaker wink te ihm ironisch zu, ging weiter und steuerte sorgfältig einen Kurs in Richtung Korridormitte.
Die Glastür zu Gordys Büro stand offen. R. Gordon Osborne, Vizepräsident. Shoemaker klopfte zweimal an, stand dann auf der Schwelle und fühlte, wie sich ein blödes Grinsen auf seine Züge legte. Gordy Osbor ne sah auf. Er hatte ein ordentlich rasiertes, bulliges Gesicht, sauber geschnittene Haare, trug einen Tweedanzug und hielt eine Pfeife zwischen den Zähnen. Gordy rauchte Pfeife, weil man Pfeife rauchte. Alle rauchten Pfeife.
„He, Gordy“, sagte Shoemaker und rülpste.
Osborne sah ihn unglücklich an. „Komm ’rein, Bob – und schließ’ die Tür.“ Shoemaker kämpfte mit der Tür, schlurfte mit den Füßen und schloß sie mit einem lauteren Knall, als er beabsichtigt hatte. (Verdammtes Ding!). Dann stakste er auf den grünen Ledersessel zu, der vor Osbornes Schreibtisch stand, stopfte die Hände in die Hosentaschen, setzte sich und streckte die Füße aus.
Osborne rieb an seiner Nase. Shoemaker fühlte sich ein wenig beschwipst. Zwischen ihm und Osborne bestand eine Glaswand – und es war ihm scheißegal, daß die Rotzlöffel, die man heutzutage zuhauf in den Agenturen fand, alle aussahen wie Büroangestellte in Anzeigen und Pfeife rauchten, ob er nun betrunken war oder nicht. Aber es tat ihm leid, daß Gordy sich schlecht zu fühlen schien.
„Is was, Kumpel?“ fragte Shoemaker grinsend. Osborne seufzte. „Hier gibt es nicht mehr viel zu sagen.“ Seine Stimme senkte sich am Ende des Satzes. Er sah auf die grüne Mappe mit den Lederecken und dem bizarren Beschwerer darauf, dann auf den vergoldeten Kalender, der vor ihm auf dem polierten Schreibtisch stand.
„Wir haben letzte Woche darüber gesprochen – und wir stimmten darüber ein – daß du versuchen solltest, über das Wochenende hinaus nüchtern zu bleiben …“ Er blickte Shoemaker an. „Ich denke, daß es zwecklos ist, dich danach zu fragen, warum du es nicht versucht hast …“
„Was soll’s“, sagte Shoemaker. Er rückte ein bißchen tiefer in den Sessel und betrachtete seine Fußspitzen. Er suchte nach Worten. „Ich meine: Was macht das schon aus?“
Osborne antwortete nicht. Shoemaker, der noch immer versuchte, eine Erklärung dafür zu finden, wes halb es egal war, ob er betrunken war oder nicht, fühl te, wie sich ein seltsames Gefühl in seinem Magen ausbreitete – so, als würde in Kürze etwas Schlimmes geschehen. Das Zimmer, das unter ihm schwankte, drehte sich plötzlich. Er hörte, wie Osborne sich räusperte.
Shoemaker sah ihn an. Gordy hatte sich eine Art Karnevalsmaske aufgesetzt.
Große Nase, kleine glänzende Augen unter affenähnlichen Augenbrauen. Große gelbe Zähne, die knurrend gefletscht waren. Dürres Haar über seinem ganzen Kopf und seinem Gesicht, bis hinunter auf seine kräftigen Arme und seine Brust. Kein Tweedanzug mehr. Keine Pfeife. Kein Hals, der Kopf war nach vorne gebeugt. Er grinste und starrte ihn an.
Shoemaker versuchte, sich taumelnd zu erheben und merkte, daß er fror. Das Seltsame war nicht nur, daß dieses Etwas nicht Gordy war – es machte auch noch einen tierischen Lärm, riß den grünen, aus Glas bestehenden Briefbeschwerer an sich, stand auf und kroch quer über den Schreibtisch. Das Letzte, was Shoemaker sah, war, wie der Briefbeschwerer gegen seinen Schädel knallte. Dann hatte er eben noch genügend Zeit, sich darüber klar zu werden, daß Todesfurcht ihn ergriff und daß manche Dinge sich trotzdem ereignen.
Danach rannte der Neanderthaler hinaus auf den Korridor, ergriff Anthony Boletti und
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